Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt
marschierte absichtlich zu ihm hinüber, stellte sich auf die Zehenspitzen, legte die Arme auf den Tresen und hielt ihm ihren verletzten Finger unter die Nase. »Haben Sie einen Erste-Hilfe-Kasten? Sehen Sie sich das mal an. Ich bin schwer verletzt.«
Willard beäugte ihren Finger und studierte die Wunde, die nicht größer war als ein Bindestrich. »Wie haben Sie das denn angestellt?«
»Ich muss irgendwo hängen geblieben sein. Tut tierisch weh. Wenn Sie wollen, können Sie mir einen Kuss darauf geben, dann heilt es schneller.«
Er schüttelte den Kopf, lächelte nachsichtig und zog mehrere Schubladen auf. Während er nach einem Heftpflaster kramte, suchte Reba mit hektischen Blicken die Monitore ab und kontrollierte alle zehn Bildausschnitte.
Willard hielt ein Pflaster in die Höhe. »Schaffen Sie das allein?«
»Seien Sie nicht grausam. Nach allem, was ich für Sie getan habe?« Sie streckte ihm den Finger hin, und er zog an dem roten Bändchen, mit dem man die Hülle öffnete, ehe er das Pflaster herauszog und es über die Wunde klebte.
»Danke«, sagte sie. »Sie sind ein Schatz. Ich werde für eine Gehaltserhöhung plädieren.« Sie warf ihm einen Luftkuss zu, während wir auf die Tür zugingen.
Hinter uns verließ Willard seinen Posten und folgte uns. Er zog seinen Schlüssel heraus, um für uns aufzuschließen. »Kommen Sie bloß nicht wieder. Das war das letzte Mal.«
»Tu ich nicht, aber Sie werden mich vermissen«, erwiderte sie, als wir durch die Tür schlüpften.
»Da habe ich meine Zweifel«, erklärte er, und Reba warf ihm einen weiteren Kuss zu. Für meine Begriffe trug sie ein bisschen dick auf, aber das schien Willard nicht zu stören. Er drehte den Schlüssel im Schloss um, und wir waren gerettet.
22
Reba bremste ihren BMW vor meiner Wohnung ab. Als ich ausstieg und die Wagentür hinter mir zuschlug, sah ich Cheneys kleinen roten Mercedes am Straßenrand stehen. Mir wurde ganz mulmig. Eigentlich hatte ich ihn ja über meine Abenteuer mit Reba in den letzten Tagen informieren wollen, doch dann war Jonahs Anruf dazwischengekommen, und Cheney war zum Tatort aufgebrochen, ohne dass ich ein Wort gesagt hatte. Die Unterlassung verursachte mir nun ein schlechtes Gewissen, als hätte ich ihm absichtlich etwas verschwiegen. Schon allein die Bezeichnung »Abenteuer« für unsere Unternehmungen klang wie ein Versuch, die Tatsache herunterzuspielen, dass wir damit womöglich die Ermittlungen sabotiert hatten. Dass wir in Becks Büro eingedrungen waren, war bereits riskant genug gewesen. Im Notfall konnten wir zwar einwenden, dass uns Marty zu einem Rundgang durch die Räumlichkeiten eingeladen hatte, doch sein Angebot hatte sich nicht darauf erstreckt, dass wir Schreibtischschubladen durchwühlen und Onnis Schlüssel stehlen durften. Und mit Sicherheit hatte er uns nicht erlaubt, in seiner Abwesenheit wiederzukommen und nach Belieben über die Räume zu verfügen. Ich wollte Cheney von den Geldbündeln erzählen, die gezählt, umgepackt und in Koffer verfrachtet worden waren, wusste jedoch, dass unserer Entdeckung ein kleiner gesetzwidriger Hausfriedensbruch vorausgegangen war, der die neuen Erkenntnisse mit einem Schönheitsfehler befleckte. Trotzdem musste ich auspacken, bevor mein Schweigen sich zu einem eigenen Problem auswuchs.
Während ich durchs Gartentor schritt und auf meine Wohnung zuging, hatte ich ein so schlechtes Gewissen, als hätte ich mit einem anderen Mann geschlafen. Auch wenn ich mein Verhalten erklären konnte, blieb ich dennoch dafür verantwortlich. Cheney saß vor meiner Tür. Seine Kleider waren dieselben wie am Vorabend, und er lächelte, als er mich erblickte. Er sah erschöpft aus, aber gut. Mein Geständnis würde sich mit Sicherheit auf unsere Beziehung auswirken. Mir graute vor den Folgen, doch ich musste beichten.
Ich setzte mich neben ihn auf die Stufe und schob meine Hand in seine. »Wie war’s? Du siehst erledigt aus.«
»Ein Riesenblutbad. Zwei Gangster sind tot. Eine Hure ist in die Schusslinie geraten und ebenfalls umgekommen. Jonah hat mich nach Hause geschickt, damit ich duschen und mich umziehen kann. Um eins soll ich wieder dort sein. Und wie geht’s dir?«
»Nicht so gut. Ich muss mit dir reden.«
Er musterte mich mit fragendem Blick. »Kann das nicht warten?«
»Ich glaube nicht. Es geht um Reba. Wir haben ein Problem.«
»Soll heißen?«
»Es wird dir nicht gefallen.«
»Spuck’s einfach aus.«
»Ich habe mich gestern Abend mit ihr zum
Weitere Kostenlose Bücher