Kiosk
mal vorbei?« fragt Rose Quittländer und schiebt dem Dachdecker ihren Einkaufsrollwagen in die Hacken.
»Sehn Sie nicht, daß ich hier um meine Rechte als Verbraucher kämpfe?« schnauzt der Dachdecker. Zwei resolute alte Schachteln gehen nun wirklich zu weit, Kalle grinst schon ganz verschlagen, während er den Eierlikör in seiner Hose streichelt. Die Quittländer guckt nur böse und droht mit dem Sonderangebotszettel, den sie zusammengerollt wie einen Regenschirm in der Linken hält.
»Schö Tach«, grüßt Buddy aufgeräumt, während sie im Laden verschwindet.
»Laß das«, herrscht ihn der Dachdecker an, »die alte Schabracke hat keinen schönen Tach verdient.« Er schlendert zum Halteverbotsschild an der nächsten Ecke, lehnt sich mit verschränkten Armen an und wartet auf seine Kumpel.
»Und?« sagt Kalle, als Buddy ankommt. Buddy greift in die Taschen seines Mantels und zieht zwei Beutel Ostergras hervor.
»Wasn das?« Kalle stöhnt.
»Nu laß ihn doch«, sagt der Dachdecker. »Vielleicht kann Lenchen das im Laden brauchen.« »Zum Eierlegen?«
»Paß bloß auf du«, droht der Dachdecker ihm. »Buddy, das ist doch nicht alles, oder?«
Buddy öffnet seinen Mantel und holt einen Kranz hervor. Er hat sich für die Maiglöckchen entschieden, weil er die schon mal in Balkonkästen vorne an den Festungshäusern gesehen hat. Nur nicht in dieser Farbe.
»Rosa«, stöhnt Kalle wieder. »Scheiße, der Jakob war doch ein Junge. Dem können wir doch keinen rosa Schleifchenscheiß aufs Grab legen.«
»Ich hab gleich gesagt, du sollst das machen«, klagt der Dachdecker. »Der Buddy ist nunmal ein Depp.« Buddy guckt wieder von fern. Da kann man nichts machen, weiß der Dachdecker und klopft ihm die Schulter.
Eine verschlafene blonde Frau mit Hund biegt um die Ecke. Der Dachdecker nimmt Haltung an. »Fräulein?«
Ein mißtrauischer Seitenblick und: »Ich hab keine Mark, bin selber pleite.«
»Fräulein, was denken Sie von mir. Ich hab nur ’ne Bitte. Schaun Se mal meinen Kumpel hier, der hat sich beim Einkauf in dem Drogeriemarkt da vergriffen. Er wollte eigentlich ’nen blauen Kranz, und nu is er rosa.«
»Dann tauschen Sie ihn um.«
»Nee, geht nich. Die wollen unsereins nicht mehr bedienen, weil wir keinen Kassenbon haben. Buddy ist schusselig. Aber so’m netten Fräulein wie Sie tauschen die das bestimmt um.«
»Gegen Geld?« fragt Karla spöttisch.
Der Dachdecker plustert sich auf. »Aber erlauben Sie mal. Hier geht es doch nicht um Geld. Das ist ein Geschenk fürn toten Freund. Den Jakob vom Kiosk. Den kennen Sie doch, oder? Kennt jeder, der von hier kommt.«
»Ich komm nicht von hier«, sagt Karla schroff und geht weiter, besinnt sich, dreht sich um und entreißt dem Dachdecker grob den Kranz. »Geben Sie her, ich versuch’s. Aber was heißt Geschenk, wo Ihr Freund doch tot ist?«
»Is für seine Frau, das Lenchen«, erklärt der Dachdecker.
»Für aufs Grab vom Jakob«, korrigiert Kalle, weil das Fräulein so nett ist und der Dachdecker nicht alles, was Spaß macht, für sich allein haben soll. Karla ist schon durch die Schwingtür, den Kranz hält sie achtlos in der Rechten, der Hund springt nach den Schleifen.
3
K arla ist heute morgen spät aufgewacht und ziemlich verkatert.
Neben dem Bett steht der Hund und junkst. Karla mag entschieden keine Hunde und wundert sich, wie dieser hier herkommt. »Also, wie kommst du hierher?« fragt sie den Welpen streng. Der hopst aufs Bett, hechelt und wedelt und freut sich über die Anrede. Sie schubst ihn weg und fällt in die schlafwarmen Kissen zurück.
Hinter geschlossenen Lidern dämmert ihr langsam, was gestern so passiert ist, nachdem sie die Wohnung verlassen und sich in die Dämmerung gestürzt hat.
Angefangen hat es »Beim Fährmann«, wo sie ihren Untergang begießen wollte. Der »Fährmann« ist dafür genau die richtige Kaschemme. Lauter menschliches Treibgut an der Theke. Sprachlos. Der Wirt war mal Matrose, weshalb eine rotweiß angemalte Sparbüchse in Form eines Rettungsbootes auf dem Tresen steht. Für die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. An den Wänden hängen Netze, zwischen deren Maschen und Plastikkrebsen sich öliger Schmier fängt. Auf der Verzehrkarte in moosgrünem Plastik stehen Heringstopf, Nordseemuscheln und ein Schnaps, der Windstärke zwölf heißt. Es riecht nach vergorenem Bier, altem Fett und schlecht geputzt, so süßlich muffig wie der Wirt. Der ist kein Menschenfreund, und die Kneipe macht ihn
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