Kiosk
nicht besser.
Dafür ist das Kölsch billig. Einsachtzig, das gibt’s in der ganzen Ecke nicht noch mal. Einsachtzig, eine Weile hat Karla über nichts anderes nachgedacht und ausgerechnet, wieviel Kölsch sie hier noch für ihr Erspartes trinken könnte. Dabei kam eine stattliche Anzahl von ungefähr dreitausend Stück raus. Dreitausend minus fünf, die sie schon getrunken hat. In Kölsch gerechnet steht sie also nicht schlecht da, so ohne Job und Zukunft. Nimmt sie hingegen ihre Miete als Vergleichsgröße, sieht es düster aus. Tausendfünfhundert kostet der marmorgeflieste Apartmentwürfel, in den sie vor einem halben Jahr eingezogen ist. Mit Job und einem sehr unscharfen Vorhaben. Das war purer Leichtsinn.
»Wie konntest du nur«, nörgelt eine Stimme in einer Ecke ihres Gehirns. Die Stimme ihrer toten Mutter, die einen Speicherplatz von ungefähr zehn Millionen Gehirnzellen in ihrem Kopf beansprucht und bereits hellwach ist. »Wie konntest du nur?«
Der Hund leckt ausgiebig ihr Gesicht, sie schiebt ihn wieder beiseite und steht auf, um der Stimme zu entkommen. »Geh weg«, herrscht sie den Hund an und schubst ihn mit dem Fuß über den Marmorboden. Seine Krallen machen dabei ein kratzendes Geräusch.
In der Küche sucht sie nach Kaffee, keiner da. Also 2995 Kölsch minus weiterer drei im »Fährmann«, soviel kostet der Kaffee bestimmt. Der Gedanke an Bier dreht ihr den Magen um. Sie geht ins Badezimmer, sperrt die Tür vor dem Hund zu und stellt sich unter die Dusche. Sie zieht den Hebel vor. Mit dem warmen, harten Strahl prasseln weitere Erinnerungen auf sie herab. Ja, wie konnte sie nur, antwortet sie der Stimme aus dem Bett. Natürlich hätte sie wissen können, daß eine halbe Forschungsstelle beim Stadtarchiv nicht von Dauer ist. Wer interessiert sich schon brennend für den Kölnischen Fernhandel im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert? Die Stelle ist gestrichen. Seit gestern ist sie arbeitslos.
Kein ganz neuer Vorgang für Karla, sie kennt das von ihrer Zeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni, den Assistenzjahren am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte und von dem Job an der bibliographischen Forschungsstelle. Es gibt so gut wie niemanden, der sich brennend für eine promovierte Historikerin mit dem Schwerpunkt mittelalterliche Wirtschaftspolitik interessiert. Mit ihrem Zweitfach Archäologie ist erst recht nichts zu holen.
»Hättest eben doch Medizin studieren sollen.« Mutters Stimme hat sich unter die Dusche gemogelt.
»Ich kann keine Menschen aufschneiden.«
»Aber alte Steine ausbuddeln, die niemand haben will. Und Mumien würdest du doch wohl auch aufschneiden.« »Stimmt, mit Begeisterung.« Allerdings sind römische Mosaike ihr Spezialgebiet, alte Steine eben.
Karla läßt Wasser in ihren Mund laufen, es steigt in der Mundhöhle an wie in einem Auffangbecken, sprudelt über, rinnt ihr zu den Seiten wieder heraus.
»Vom Unglück ziehe ab die Schuld, was übrigbleibt, trag mit Geduld.« Mutter.
Schuld?
»Ich war immer die Beste, Mutter, in der Schule, im Studium, wie du es gewollt hast.«
»Du warst eben nicht gut genug.« Die Stimme der Mutter mischt sich mit der eigenen.
»Der Arbeit fehlt es insgesamt an Eigenständigkeit, dennoch eine erschöpfende Bestandsaufnahme«, hieß es schon in der Beurteilung ihrer Examensarbeit. Nach großer wissenschaftlicher Begabung klingt das nicht.
Karla stellt die Dusche ab und friert. Sie wickelt sich in ein Frotteetuch und setzt sich auf den Toilettendeckel. Ihre Begabung reicht für weniger als dreitausend Kölsch. Und dafür hat sie eine Menge andere Dinge im Leben vernachlässigt. Männer zum Beispiel. Nicht, daß sie keine gehabt hätte, aber Männer waren für sie eher ein Abenteuer, keine Notwendigkeit. Was ihr fehlt, ist das Talent, einen Gefährten zu finden, der sie vor den eigenen Abgründen bewahrt oder wenigstens darum weiß, weil er selber welche hat.
»Man muß eben Kompromisse schließen, sich anpassen«, sagt die Stimme ihrer Mutter.
»Das mußt gerade du sagen«, antwortet Karla.
An diesem Punkt hat sie sich gestern das fettige Skatspiel gegriffen, das einer auf der Theke hat liegen lassen, und die Bildkarten aussortiert. Hat sie schon als Kind gerne gemacht. Die Könige und Buben und Damen fein säuberlich voneinander getrennt, um neue Paare zu bilden. Es hat ihr nie gepaßt, daß der pompöse Herzkönig mit der feingesichtigen Herzdame zusammen sein soll, dann schon lieber die schafsgesichtige Pikdame für
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