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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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nie hatte sie Anton Scheiberl so erlebt. Er war kein sexgeiler alter Bock. Zwischen ihnen hatte es sich einfach so ergeben. Sie war unter seinen Worten, den zarten Küssen und unter der Liebkosung seiner Hände dahingeschmolzen.
    Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. Sie wollte ihn loswerden. Unbedingt. Noch ein bisschen aufräumen und dann ins Bett. Allein.
    »Schleich dich. Du bist unwillkommen«, sagte sie zu ihm.
    Kalt wie ein Fisch.
    Irgendetwas in ihrem Gesicht musste wohl zu ihm durchgedrungen sein. Er sah plötzlich zerknirscht aus und wollte ihre Hand nehmen. Sie ließ es nicht zu und wandte sich ab.
    »Willst du durchs Haus verschwinden oder ums Haus herumgehen?«, sagte sie mit dem Rücken zu ihm.
    Anton Scheiberl brauchte eine Weile. Doch dann war er weg. Thea hatte sogar den Eindruck, dass ihn die Sache wieder ernüchtert hatte. Sie hörte eine Autotür schlagen, Motorengeräusch und keuchendes Husten oder sanftes Männerrülpsen, dann war Ruhe. Dass er nach Kölnisch Wasser gerochen hätte, hatte sie nicht bemerkt. Dafür war die Alkoholfahne zu dick gewesen.
    »Noch eine Zigarette«, flüsterte sie vor sich hin. Die Haustür schloss sie diesmal ab, schaltete die Terrassenbeleuchtung aus und saß im Halbdunkel des bleichen Mondlichts. Alle Sinne waren hellwach.
    Da hörte sie erneut das Geräusch. Hatte sie sich wieder getäuscht?
    Sie hörte noch einmal hin. Es klang wie ein Scharren. Als ob sich jemand schlurfend vorwärtsbewegte. Doch sie konnte nicht feststellen, aus welcher Richtung. Sie hatte die Eingangstür abgeschlossen. Entweder war jemand schon vorher im Haus gewesen, oder er hatte sich ums Haus herum geschlichen.
    Ihr Herz klopfte schneller.
    Das scharrende Geräusch. Es kam näher.
    Sie sprang auf und wollte zum Außenlichtschalter greifen. Doch etwas hielt sie davon ab. Etwas bedeckte ihre Augen und verdunkelte die Welt. Eine behandschuhte Hand zwang ihren Mund auf und flößte ihr gewaltsam etwas ein.
    Sie kämpfte sich hoch und stieß mit den Ellenbogen nach hinten. Beim Basketball ein grobes Foul. Sie wurde von einer hysterischen Angst erfasst und wollte sich wehren. Gab aber keinen Laut von sich.
    Der Griff lockerte sich. Zunächst besaßen die Hände keinen Körper, keinen Mund, keine Ohren.
    Dann wurde sie herumgewirbelt.
    Nun sah sie die Gestalt als Silhouette, ummantelt von silbrigem Mondlicht. Sah, wie sie sich zurückbeugte, etwas über dem Kopf schwang …
    »Du?«
    Und noch einmal »Du? Was machst du da?«, stieß sie voll Entsetzen aus. »Wie …«
    Sie war entsetzt. Doch ihr Entsetzen endete im Nichts. Das Etwas über dem Kopf sauste wie ein Schwert auf sie herab.
    Sie erstarrte.
    Ich sehe Gespenster, redete sie sich in dieser letzten Sekunde ein. Noch einmal wollte sie rufen. Sie öffnete den Mund.
    Dann spürte sie einen stechenden, brüllenden Schmerz. Er traf sie von oben und fuhr direkt durch sie hindurch. Es war, als würde sie von glühenden Nadeln durchbohrt. Der Schmerz war so stark, dass sie nicht mehr die Kraft fand zu schreien. Unmittelbar bevor Thea Brommel starb, durchfuhr sie der Geruch der Myrte und von Kölnisch Wasser, und sie roch das Mondlicht und spürte ihre Finger über das Akkordeon hüpfen …
    … und blieb an ihrem eigenen Schmerz hängen.
    Ein letztes Mal versuchte sie, sich davon zu befreien.
    Dann war alles vorbei. Lautlos vorbei.
    Im Osten begann es zu dämmern, der Mond zog sich zurück. Noch gut zwei Stunden, dann würden die Hunde sie abnagen.
    Der Schatten, der Thea Brommel getötet hatte, stand noch einen Augenblick regungslos vor seinem Werk. Wie zum stillen Gedenken an einem Grab. Der Strahl einer Taschenlampe wanderte über die leblose Gestalt am Boden. Dann wurde der Schatten noch einmal tätig, tat, was er vorgehabt hatte zu tun, knipste schließlich die Lampe aus und schlich behutsam davon.
    Der Gedanke, etwas Verdorbenes entfernt zu haben, ließ die Erregung steigen.

fünf
    Als die Heidi damals die Tankstelle übernommen und den Kreisel mit Rosen bepflanzt hatte, hatte es in ihrem Umkreis noch keinen Hund gegeben. Ihr wäre es auch nie in den Sinn gekommen, sich einen anzuschaffen.
    Eines Tages aber war er vor ihr gestanden, hatte sie angelächelt und mit dem Schwanz auf den Boden geklopft. Sie hatte gerade die Tankstellenräume bezogen, die Zapfsäulen abbauen und farbenfrohe Lamellenvorhänge an den hohen Fenstern anbringen lassen und es sich im Innenraum gemütlich gemacht. Um nichts in der Welt hätte da ein Hund reingepasst. Sie

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