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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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schön ebenmäßig verlief. Für seine Hilfe bekam er von der Käthe eine Mark oder eine Tafel Schokolade.
    Max lieferte ein Abitur mit Prädikat ab. Doch gleich danach versetzte er den Eltern einen nie wiedergutzumachenden Tiefschlag: Er wurde Todesermittler im Kommissariat 12 der Münchener Mordkommission. Bei ungeklärten Fällen hatte er die Todesursache zu klären. Manchmal überbrachte er persönlich den Angehörigen die traurige Nachricht, obwohl das nicht zu seinem engsten Aufgabenbereich gehörte.
    Bald wurde der damalige Leiter, Kriminalrat Josef Ottakring, auf den eifrigen jungen Mann und dessen siebten Sinn für Todesursachen aufmerksam. Er ließ ihn zum Mordermittler ausbilden und nahm ihn teilweise selbst unter seine Fittiche.
    Zu dieser Zeit lebte Campari bereits in Kirchwies. Er hatte Margot, eine Einheimische, geheiratet. Im Dorf beknieten sie ihn, für die nächste Bürgermeisterwahl zu kandidieren. Er gewann die Wahl und wechselte den Beruf. Zum großen Bedauern von Ottakring. Der Chef der Mordkommission hatte Bedeutenderes mit Max Campari vorgehabt.
    Dieser frühe Morgen wurde einer der schlimmsten in Camparis Leben. Es gelang ihm lange nicht, sich von dem Gefühl zu befreien, mitten in einem unfassbaren Alptraum gefangen zu sein. Doch alles, was er hatte ansehen müssen, war real. Und diese Wirklichkeit war grauenhaft.
    In seinem früheren Polizistenleben hatte er zwangsläufig häufig Zeuge von Szenen werden müssen, die von einem blutigen und brutalen Drama zeugten. Aber es war ihm nie so nahegegangen wie dieser Mord. Denn dass es sich um Mord handelte, war eindeutig. Als Heidi ihm ihren grausigen Fund am Telefon geschildert hatte, hatte er vollkommen unterschätzt, was ihn erwartete. Es war noch nicht einmal geklärt gewesen, wer die Tote war. Aber schon in dem Augenblick, als er am Libellenweg 18 um die Ecke bog und auf die hintere Terrasse zuging, hatte er das Schlimmste befürchtet. Und er sollte recht behalten.
    Sie beide, Campari und Heidi, hatten das Grundstück lautlos umkreist. Vorsichtig, als seien sie auf dem Weg über ein Feld voller Tretminen. Die Haustür war abgeschlossen. Kurz hinter der Terrasse verharrten sie. Die Terrassentür stand sperrangelweit offen. Campari hörte Heidi hinter sich stoßweise atmen. Er wehrte sich mit beiden Händen gegen einen Mückenschwarm.
    Schon nach dem ersten Blick stand Campari vollkommen unbeweglich. Er streckte beide Arme von sich, als wollte er sich gegen den Anblick wehren, von Entsetzen gelähmt. In diesem Augenblick gab es keine Unklarheit. Die da vor ihm lag, war Thea Brommel. Und Thea Brommel war tot.
    »Was ist hier passiert?«, fragte er mehr sich selbst. Seine Stimme klang brüchig.
    Campari stand da mit pochendem Herzen und nahm das Bild in sich auf. Die leblose Gestalt, die vor ihm auf der Seite halb im Gras, halb auf der kleinen Holzterrasse vor dem Gartenhaus lag, war oben mit dem gelben Top bekleidet, das Thea auch beim Gartenfest getragen hatte. Von der Hüfte abwärts war sie nackt. Über den gesamten Unterbauch verlief ein tiefer Schnitt. Die Hände waren hinter dem Rücken mit einem Elektrokabel gefesselt.
    Vor wenigen Tagen noch hatte er diesen nackten Bauch geküsst.
    »Oh mein Gott! Thea!«
    Er war nun vollends sicher, dass es Thea sein musste, deren Kopf sich da unter etwas wie einem Zementsack verbarg. Es war ihr Top, es war ihre Figur, es war …
    »Hol ein Tuch«, rief er Heidi zu. »Eine Decke. Irgendwas. Wir müssen sie bedecken.«
    Sofort ging es um Details. Blut hatte das Papier des Zementsacks durchdrungen und bildete einen hässlichen Fleck auf den frisch gestrichenen Holzdielen. Vertrocknetes Blut seitlich davon. Sein Blick glitt nach unten.
    Er erstarrte. Er hatte Heidis Schilderung keinen Glauben schenken wollen. Der angenagte Fuß. Zwei Zehen fehlten ganz, eine halb. Die offene Wade. Blut. Überall Blut, selbst im Gras. Ein weiterer Blick zeigte ihm, dass der Körper von der Hausterrasse hierhergeschleift worden war. Es war offensichtlich. Wenn Heidi recht hatte, von den Hunden. Tierfraß.
    Drüben auf der Terrasse, unter der Dachrinne, stand eine niedrige Regentonne. Daneben letzte Reste eines Wasserflecks. Campari wusste, dass er weiß war im Gesicht. Er beugte sich vor, als hätte er Schmerzen in der Brust. Wimmernd kehrte Heidi mit einer roten Decke zurück. Er würde ihre Reaktion nie vergessen. Die sonst hartgesottene, fröhliche Heidi wimmerte wie ein Kind, das seine Mutter verloren hat. Er warf die

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