Kirchwies
hatte ihre Laufschuhe nach dem Hund geworfen, aber er kam wieder, einen Laufschuh im Maul, ohne Vorwurf und ohne Arg.
Der Hund war kastriert. Nachdem er zwei weitere Male aufgetaucht war, hatte sie es erkannt. Ein Hund ohne festen Boden unter den Füßen. Herrenlos. Sie hörte sich um und erfuhr, dass eine Frau im Dorf, die alte Kernerin, verstorben war und drei Hunde zurückgelassen hatte. Einer davon war »Der Braune«. So hatte Heidi das Tier, das von nun an täglich dastand, an einem heißen Morgen kurzerhand getauft.
Die drei Hunde waren der Kernerin zugelaufen und selbst unter deren Obhut nie recht heimisch und zutraulich geworden. Sie waren praktisch nur zum Fressen zu ihr gekommen, wenn auf der Straße, in der Nähe von Wang Mings Hühnerhof oder beim Stall vom Bauern Benedikt nichts mehr zu finden war. Mit anderen Worten: Ein wahres Haustier sieht anders aus.
An jenem heißen Morgen hatte Heidi Mitleid mit ihm gehabt und ihm eine Keramikschüssel mit kaltem Leitungswasser hingestellt. Er schlappte sie leer, leckte auch noch die letzten Tropfen vom Rand, grinste sie unter buschigen Brauen an und begann wieder, mit dem Schwanz zu klopfen. Am nächsten Tag hatte Heidi sich in Erwartung neuerlichen Hundebesuchs einen halbierten Kalbsknochen vom Metzger besorgt. Ergeben tauchte der Braune tatsächlich auf, nahm die Delikatesse artig an, trug sie fort und vergrub sie bei den Abfalltonnen hinter dem Seitenflügel, wo sich die stillgelegten Außentoiletten befanden. Heidi hatte eigentlich erwartet, dass sich der Hund ratzfatz über den Knochen hermachte oder ihn wenigstens mitnahm, um ihn mit seinen Spezln zu teilen. Aber offenbar betrachtete er das Tankstellenareal schon als sein ganz persönliches Revier.
Fünf Minuten später hatte er wieder vor ihr gestanden und sich das Maul geleckt. Dann lächelte er. Klopf, klopf, klopf ging der Schwanz am Boden. Eine Fliege schwirrte um Heidis Kopf und verfolgte sie hartnäckig, als sie in ihre Behausung ging und mit einem ungeputzten Bergstiefel wiederkam. Die Laufschuhe hatten nichts geholfen.
Ohne große Begeisterung warf sie den Stiefel in hohem Bogen nach dem Hund. Der Braune legte den Kopf schief und duckte sich weg. Er sah dem schweren Schuh hinterher, der sich überschlagend einen Meter weiterkullerte, bis er auf der Seite liegen blieb. Langsam rotierte der Kopf auf dem kurzen Hals. Großes Erstaunen. Der Blick aus seidigen Hundeaugen richtete sich wieder auf die Frau. Eine Lefze hob sich spöttisch. Klopf, klopf, klopf.
»Du meinst wohl, ich gehör dir schon?«, sagte Heidi halb laut und halb belustigt.
Dieser Hund war nicht bösartig und stank nicht, obwohl er sich herumtrieb. Doch behalten wollte sie ihn nicht. Auf keinen Fall. Sie wusste nur nicht, wie sie ihn wieder loswerden sollte.
Hatte er vielleicht Flöhe? Dagegen würde ein Flohhalsband helfen. Ein wenig Erfahrung mit Hunden hatte Heidi bereits.
Totschlagen? Erschießen? Auch nicht das Wahre.
Der Hund konnte Heidi Gesellschaft leisten, er passte zu ihr, es sah aus, als habe er schon immer zu ihr gehört. Sie marschierte mit ihm zum Tierarzt im Dorf. Der war hauptsächlich fürs Großvieh zuständig. Doch er untersuchte den Hund, erklärte ihn für gesund, gab ihm eine Spritze, stellte den Impfausweis aus und erklärte Heidi, dass sie das Flohhalsband am besten übers Internet kaufen könne. Die Lederleine und das lebenswichtige Trockenfutter verkaufte er ihr selbst.
»Kastriert ist er ja schon. Er wird dir also nicht einfach wegrennen und über Nacht wegbleiben.«
Eine gewagte Prognose.
Zuerst war alles gut gegangen.
Wo Heidi auch ging und stand, der Braune kam mit. Manchmal durfte er umherstreifen, wie er es gewohnt war. Er liebte das Wasser, durchforschte jeden Gebirgsbach nach dem schönsten Stein und grub am Grünsteinsee längst untergegangene Schätze der vergangenen Jahre aus. Alles Mögliche schleppte er an. Verwitterte Äste, die Mammutknochen ähnelten. Leere Plastiktuben für Kokosöl, von Riesenhand zerknüllte Bierdosen, Zigarettenschachteln. Manchmal auch Dinge, die er offensichtlich nicht ausgraben musste. Ein helles Handtuch, eine leere Pizzaschachtel, ein herumliegendes Eichhörnchen. Die verwegensten Mitbringsel innerhalb der ersten paar Wochen waren eine abgewetzte Lederhose mit Trägern und eine Kettensäge, die er am Griff heranschleifte, gewesen.
Der Braune schwamm gern. Nicht nur im Grünsteinsee. Die Heidi rannte mit ihm am Feldbach entlang bergauf und im Wasser des
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