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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Decke über den Unterkörper und die Beine und strich sie glatt.
    Thea Brommel. Die fröhliche, lebenslustige Thea.
    Er machte sich den Vorwurf, dass er keine Handschuhe mitgenommen hatte. Im Durcheinander des offen stehenden Gartenhäuschens fand er Arbeitshandschuhe. Vorsichtig zog er sie an und streifte vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, den Zementsack vom Kopf der Toten. Das Gesicht war verunstaltet. Sie hatte einen Schnitt an der Stirn, ein weiterer verlief unterhalb der Nase schräg über den Mund zum Unterkiefer. Um ihren Hals spannte sich ein Kabel.
    Er fühlte sich an den Grieblmeier-Fall erinnert, seinen spektakulärsten Fall als Mitglied der Münchener Mordkommission. Paul Grieblmeier, ein Tankstellenbesitzer aus dem Münchener Norden, war im Herbst 2006 tot in seiner Schwabinger Wohnung aufgefunden worden. Man hatte ihn gewürgt, mehrere Messerstiche in Hals und Brust versetzt und schließlich mit einem Hammer erschlagen. Die Tat war ein Raubmord gewesen, wobei Campari der Nachweis nie so recht gelungen war, ob nicht zusätzlich noch ein Sexualmotiv vorgelegen hatte. Auch die Verhöre der Täter und anderer Kontaktpersonen aus der Schwulenszene hatten nicht zur Aufklärung beitragen können.
    Er war schon so lange Polizist gewesen, dass es keine Limits gab für das Grauen und die Gewalt, die er hatte erleben müssen. Als er später zum Bürgermeister von Kirchwies gewählt wurde, hielt er seine ausgeprägt guten politischen und polizeilichen Beziehungen nach München weiterhin stramm aufrecht.
    »Oh Gott, Thea!«, stieß er immer wieder hervor, während er den Leichnam voller Entsetzen und Abscheu betrachtete.
    Beide standen stumm da. Campari drehte sich Heidi zu. Wortlos starrten sie sich an. Beide hatten Tränen in den Augen.
    Dann ging ein Ruck durch den stämmigen Mann. Entschlossen riss er sein Handy aus der Tasche und begann zu handeln.
    »Komm her, Fritzi. Sofort. Es ist was passiert. Ich brauche dich als Ärztin.«
    »He, mach mal easy. Was ist passiert? Und wo soll ich hinkommen? Ärztin, das war ich mal. Brauchst du keine Boxerin? Außerdem – einen Blinddarm oder so hab ich noch nie operiert.«
    Es war die falsche Reihenfolge. Zuerst hätte er die Spurensicherung verständigen sollen. Er erklärte Fritzi kurz und so nichtssagend wie möglich, was los war und wohin sie kommen sollte. Aber pronto! Dann rief er die Nummer an, die er gespeichert hatte.
    »Campari hier. Kirchwies …«
    »Ja bitte, Sie wünschen?«
    Es war die Vermittlung im Münchener Polizeipräsidium. Die Vermittlung. Warum nicht die Spusi? Herrgottszeiten, wie lange war er schon außer Dienst? Wieso hatte er die Vermittlung gespeichert? Wie deppert stellte er sich an?
    »Campari«, bestätigte er auf Nachfrage. »Stellen Sie mich zur Spusi durch. KHK Bruni.«
    Im Nu war Bruni dran. Er war vor gut einem Jahr von Rosenheim nach München versetzt worden. Das übliche Spiel: Ist jemand gut, rutscht er auf der Leiter des Erfolgs eine Sprosse höher.
    »Bruni? Campari hier, in Kirchwies. Hier liegt eine Tote, ein Bein ist angefressen. Sieht so aus, als hätte man sie totgeschlagen.« Dann nannte er die Adresse.
    »Wir kommen«, sagte Bruni.
    Fast hätte er es vergessen. Mein Gott, ich werde alt. Campari war über die Maßen geschockt. Geschockt wie noch nie im Leben. Er brauchte die Rechtsmedizin vor Ort. Fritzi konnte schließlich keinen forensischen Mediziner ersetzen.
    »Halt, Bruni, sind Sie noch dran?«
    »Grad noch!«
    »Dann sind S’ bitte so nett und bringen die Rechtsmedizin mit. Oder geben ihnen wenigstens Bescheid. Machen Sie das?«
    » I’ll do my very best! Wenn’s nicht klappt, ruf ich noch mal zurück.«
    In Camparis Kopf hallte das Echo seines Kommentars nach. Totgeschlagen. Er merkte, wie ihm langsam schlecht wurde.
    Auch Heidi ging es nicht besser.
    »Heute wegen Todesfall geschlossen« hängte sie an die Tür.
    Sie musste sich hinlegen und starrte an die Decke. Ab und zu hörte sie Verkehrslärm aus der Ferne. Das mussten die Polizeiautos sein. Mit einem Ohr lauschte sie, ob das Telefon schellen würde. Man würde sie sicher noch einmal anhören wollen.
    Eine Weile später stand sie wieder auf und trat auf den Vorplatz der alten Tankstelle. Früher ein trister, nach Benzin stinkender Schmutzfleck. Jetzt ein duftendes Blumenmeer. Doch ihre Blumen sah die Heidi nicht. Hitze wallte in ihr auf. Zaghaft zunächst, dann in immer stärkeren Wellen.
    Das Bild ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Theas verstümmelte

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