Kirchwies
zweitens.
Bis Weihnachten, dachte der Bürgermeister, dann wär’s vorbei. Er wälzte sich herum und warf einen Blick auf die Uhr. Halb acht. Die Glocken riefen pünktlich zur Frühmesse. Pater Timo ließ grüßen. Er zog noch selbst am Seil, der Dorfpfarrer, und Campari war sicher, dass er mit jedem Zug einen gesegneten Gruß an ihn mitschickte. »Ich werd dich doch wohl wach kriegen«, sollte das heißen. Immer lauter und lauter wurde das Geläut. Vor allem die Bassglocke dröhnte hämisch zum halb geöffneten Fenster herein.
Campari rollte sich mühsam zur Seite und aus dem Bett. Dann schloss er das Fenster, ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und stürzte eine halbe Flasche eiskaltes Mineralwasser hinunter. Seine Zehen juckten. Er wollte hinunterschauen, doch das funktionierte nicht. Bücken und Kratzen schon gleich nicht. Die blassweiße, pralle Wampe stand dazwischen. Wie bei seinem berühmten Vater. Während er trank, blickte er aus dem weit geöffneten Fenster. Das Morgenlicht versprach einen schönen Tag, der Himmel war klar und wolkenlos.
Auf der anderen Seite der Dorfstraße winkte sein Geschäftshaus herüber. Ein schöner Anblick. Im Untergeschoss die Sparkasse, im ersten seine bürgermeisterlichen Amtsräume und unter dem Giebel die kleine Wohnung, die für Besucher reserviert war. Das alles gehörte ihm. Weit hatte er’s gebracht. Vom Hauptkommissar in der Mordkommission bis zum Bürgermeister daselbst.
Er rülpste leise. Das Wasser rumorte im Magen. Er hatte eine hundsgemeine Nacht hinter sich. Pausenlos hatte er sich im Bett herumgewälzt, war wieder eingedöst, schließlich in einen Halbschlaf gefallen. Er war aufgestanden und umhergewandert, hatte sich wieder hingelegt und endlich eine Stunde lang tief geschlafen. Bis die verdammten Glocken mitsamt den blöden Gänsen ihn weckten. Wartet nur, Weihnachten kommt bald!
Die Einladung heute Nachmittag lag ihm im Magen.
Er ging ins Schlafzimmer und zog sich mühsam an. Unterhose, Hemd. Für die Hose musste er sich am Schrank festhalten, um hineinzuschlüpfen. Dann ließ er sich aufs Bett sinken, um die Socken unter heftigem Ächzen und Stöhnen über die Füße zu streifen. Gut, dass die Margot grad heut bei ihrer Schwester ist und erst morgen zurückkommt, dachte er. Sie hasste seine Schnauferei, vor allem nachts, wenn das Schnaufen Schnarchen hieß.
Diese Einladung. Die Brommel Thea. »Housewarming Party« hatte sie’s genannt.
Er hatte die Thea noch spielen sehen in Wasserburg beim TSV . Wann immer er konnte, hatte er sich ein Spiel angesehen. Vor allem, wenn’s um die entscheidenden ging. Die Deutsche Basketballmeisterschaft hatten die Wasserburger Damen schon x-mal errungen. Die Thea war ein exzellenter Center mit ihren knapp ein Meter achtzig, die irrsinnig schnell spielen konnte. Und jetzt machte sie Physiotherapie. Das, was sie gelernt hat. Hatte sich in dieses weiße Haus am Libellenweg verliebt und schon alles eingeräumt.
Am Einzugstag hatte er sie besucht. Es sollte der Höflichkeitsbesuch des Dorfbürgermeisters werden. Doch es wurde mehr daraus. Er hatte eine Flasche Rotwein mitgebracht, die tranken sie gemeinsam aus. Dann holte Thea noch eine Flasche. Auch die wurde geleert. Und schließlich fanden sie sich gemeinsam im Bett wieder. Er konnte sich danach zwar nicht mehr an jedes Detail erinnern, aber – wow, was für eine Frau!
Und heut nun die Einweihungsparty. Die Housewarming Party.
Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, als er sie vor Augen hatte. Groß, schlank, sportlich. Ein helle, fast transparente Haut mit Sommersprossen wie helle Leberflecken, etwas schräge Augen, er glaubte grüne, und ein Mund, der heruntergezogen immer etwas spöttisch blickte. Am auffallendsten war ihre Nase. Sie war die des Habichts. Geschweifte Nasenlöcher mündeten in eine Spitze, die kühn nach unten strebte.
Thea Brommels Gesicht war ein Gesicht, das er vom ersten Tag an zu vergessen versuchte und nicht vergessen konnte. Zum Anbeißen, das Mädel.
* * *
»Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
Pater Timo kniete in seiner Kirche vor der überlebensgroßen Christusfigur und hatte noch immer in den Ohren, was er in der Beichte erfahren hatte. Ihn schmerzten die Knie, es knackte, wenn er sie bewegte. Die buschigen Augenbrauen machten seine Miene streng, der angegraute Pferdeschwanz zitterte vor Mitgefühl.
»Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, oh Herr.« Und
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