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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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soll er’s auch wieder auslöffeln«. Doch er ließ es bleiben. Lieber stellte er sich daneben und schaute zu, wie seine Schwester Fanny das Leck stopfte.
    Nebenbei fütterte er draußen seine fünf handzahmen Amselkinder mit Weintrauben. Kernlos mussten die Trauben sein, sonst wurden sie nicht gefressen. Er warf sie einzeln in den Garten, und schon wenn er ausholte, trippelten alle fünf auf ihn zu und stritten sich dann im Gras um jede Frucht.
    Acht Eier waren es insgesamt gewesen, welche Mutter Amsel in das Nest in der Korkenzieherakazie gelegt hatte. Vier hellgrüne Eier Anfang März. Nach gut zwei Wochen waren die Jungen geschlüpft, nach weiteren zwei Wochen waren sie verschwunden und richteten sich ihr junges Amselleben unter Büschen und zwischen hohen Sommerblumen ein. Der zweite Schub von vier Jungvögeln war Wochen später auf gleiche Weise gefolgt.
    Fünf von den acht waren übrig geblieben. Anfangs hellbraun, braun oder braunschwarz, waren sie nun alle rabenschwarz. Drei zeigten stolz ihren gelben Schnabel her, das waren die Männchen. Obwohl er über die Wochen enge Freundschaft mit ihnen geschlossen hatte, war der Pater mittlerweile außerstande, sie auseinanderzuhalten. Er konnte nicht mehr unterscheiden: War es nun Veronika, die Sanfte, Johanna, die Neugierige, oder etwa Erich, der Schreckliche?
    »Hältst du mal? Bitte.«
    Fanny hatte Arbeitshandschuhe angezogen und hantierte mit Hammer, Feile und Rohrzange, während Pater Timo den Abflussstutzen festhielt.
    »Des hammer glei!«, rief Fanny mutig. Und setzte nach: »Und bloß keine Chemie.«
    Ihr Bruder lernte, was ein Siphon ist, wie er die Saugglocke anzusetzen hatte, und holte bereitwillig eine Rolle Haushaltstücher aus der Küche für die Feinarbeit.
    »So!« Fanny streifte die Handschuhe ab und klatschte in die Hände. »Jetzt müssen wir nur mehr das Wasser aufwischen.«
    Pater Timo stand unglücklich daneben wie nicht abgeholt. Er konnte vieles besser als Reparaturarbeiten.
    »Da sieht man’s wieder«, schnurrte die Fanny. »Von den vierzehn Nothelfern schiebt einer das Helfen auf den anderen. Alles muss man selber machen.«
    Timo war auf die Terrasse getreten und schaute über die Dorfstraße nach Süden. Vor den gezackten Bergen breiteten sich grüne Flächen aus, unterbrochen von einzelnen Häusern, Bäumen und dem gewundenen Lauf des Kirchbachs. Eine Kuhherde zog über die Dorfstraße. Am Ende zuckelten zwei Esel mit gesenktem Kopf dahin. Aus ein, zwei Kühen strömte weiche, grünliche Masse herunter auf den Weg. »Verschissenstes Dorf Bayerns«, murmelte Pater Timo.
    Am Dorfkramer vorbei führte der Scheiberlweg direkt zur Villa des Industriellen. Eine Handbreit weiter ostwärts der Grünsteinsee, im Westen Scheiberls Privatflugplatz.
    Gleich vorn neben dem kleinen Wellblechhangar parkte eine Maschine. Sie sah aus wie ein Schmetterling kurz vor dem Start. Die Flügel gespreizt, die Räder wie dünne Beinchen federleicht auf dem Gras und hinten das lange, spitz zulaufende Leitwerk. Links und rechts war das kleine Flugzeug mit Seilen in der Erde verankert. Das war gut so. Denn ab und zu ließ ein Windstoß den Schmetterling erzittern, was in Timo den Eindruck hervorrief, der Falter fiebere geradezu dem Abheben entgegen. Vorn reckte sich die Nase kühn in die Luft. Das war der Motor der Maschine, der den großen Propeller antreiben würde, sobald man ihn zündete. Dahinter zwei Cockpits mit gläsernen Kanzeln hintereinander. Diese Maschine empfand selbst ein technikunwilliger Mann wie Pater Timo als schön.
    Im Augenwinkel bemerkte Timo eine Bewegung auf der Dorfstraße. Eine Frau. Sie rannte. Die angewinkelten Arme bewegten sich wie bei einer alten Dampflokomotive vor und zurück. Ihre Schritte hallten auf dem gepflasterten Gehsteig.
    Die alte Lokomotive war Margot Campari. Sie war die einzige Gestalt weit und breit. Hechelnd kam sie den Hang heraufgerannt.
    »Habt ihr den … den … den Odilo gesehen?«, rief sie schon von Weitem. »Der Odilo ist verschwunden.«

acht
    Hätte jemand von der Terrasse von Camparis Haus aus laut gerufen, hätte niemand ihn gehört. Von der Südseite her, abseits der Dorfstraße, war Camparis Anwesen praktisch uneinsehbar. Diesen Umstand nutzte der Todesengel schamlos aus. Er war berechnend und kannte sich aus.
    Er hatte Kenntnis davon, dass Margot Campari ausgerechnet an diesem Nachmittag ihren Jour fixe mit den Bürgermeistergattinnen der umliegenden Gemeinden hatte und deshalb außer Haus war.
    Damit

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