Kirchwies
er.
»Soeben zu Bett gebracht.«
Der Journalist hatte beide Fenster in dem alpenländisch eingerichteten Pensionszimmer geöffnet. Laue Nachtluft strömte herein, zwei schwärzliche Falter veranstalteten einen chaotischen Tanz um den Lampenschirm.
Er ging hin und schloss die Fenster. »Damit man die Schreie nicht so hört«, sagte er mitfühlend lächelnd.
»Welche Schreie?« Fritzi begann zu ahnen und machte sich bereit.
»Na, deine Schreie«, sagte er und streckte die Arme nach ihr aus.
Dies war nicht der Sinn ihres Besuchs im eigenen Haus. Doch wenn zuerst ein Hindernis überwunden werden musste – sei’s drum! Sie ließ ihn kommen.
Der Journalist steckte die Daumen unter die Hosenträger. Dann packte er zu. Fritzi hob blitzschnell die Rechte und ließ die Faust auf seinen Kopf niedersausen. Der Mann fiel, rollte auf den Rücken und blickte Fritzi überrascht an.
Mit mildem Gesichtsausdruck stürzte sich Fritzi auf ihn und drückte ihm das Knie gegen das Brustbein. Scherzhaft ließ sie den Hosenträger auf- und niederschnalzen. Dann versetzte sie ihm mit der flachen Hand eine kräftige Watschn.
Der Mann schnaufte heftig, krümmte sich hilflos, rang nach Luft. »So war das nicht gemeint«, keuchte er.
»Stimmt«, sagte sie lakonisch, stand auf und öffnete die Fenster.
Sie schaute noch einmal auf die Figur am Boden. Der Typ würde ein paar Minuten brauchen, bis er wieder auf die Beine kam.
Fritzi ging zur Tür, riss sie weit auf und warf sie mit einem Ruck hinter sich zu. Keine fünf Minuten wird es dauern, dachte sie. Dann wird er dastehen.
Der Mond trat hinter eine Wolke hervor und breitete sein Licht über dem Blumenhof aus.
Nicht zum ersten Mal hatte sich der Journalist mit Frauen verrechnet. Normalerweise flogen sie auf ihn und warfen sich auf ihn wie paarungsbereite Jungtiere. Das hatte er auch jetzt erwartet. Doch in dieser Person hatte er sich verschätzt.
Mit einem kurzen, stöhnenden Laut pumpte er sich die Lungen voll Luft und erhob sich. Er reckte die Arme zur Decke und spuckte aus dem offenen Fenster.
Er war mitten in einen Mord geraten. Er hatte zu recherchieren begonnen. Wenn er mitmischte und Ergebnisse vorweisen konnte, würde er am Ende doch noch zum gewünschten Ergebnis kommen, darauf wettete er jeden Betrag. Er wischte sich den Schweiß ab und zog ein frisches Hemd über.
Ihm war eine Idee gekommen, die er für brauchbar hielt. Das bisschen Anflug von Lust würde die Frau schon verkraften. Er folgte dem langen, dezent beleuchteten Flur, ging die breite Stiege hinab und stand im mondbeschienenen Entree.
»Privat« stand über einer weiß lackierten Tür. Er zögerte.
Bevor er etwas unternahm, warf er einen langen Blick durch die Glasfront, welche die gesamte Stirnseite einnahm. Der Garten war von oben vom Mond und von unten aus milchigen Bodenscheinwerfern dekorativ beleuchtet. Auf der einen Seite sah man erhöhte Terrassen mit Kirsch-, Apfel- und Birnbäumen und Spaliere mit Aprikosen, dahinter stachen Johannisbeer- und Stachelbeersträucher und Quittenbüsche heraus. Alle Gehölze warfen lange Schatten. Er mochte das kleine Paradies sehr. Es gab nicht nur einen Gemüse- und einen Kräutergarten, sondern in einiger Entfernung vom Hauptgebäude waren an drei, vier Stellen lauschige, beschattete Lauben mit Sitzplätzen angelegt, an denen er tagsüber unter Vogelgezwitscher gern am Laptop arbeitete oder telefonierte. Ab und zu kam gegen Abend ein Igel vorbei, vorgestern war es eine ganze Familie gewesen.
Hätte sich die weiß lackierte Tür nicht in kleinen Etappen geöffnet, hätte der Journalist noch länger den romantischen Anblick genossen. Bloß zeigte sich eine ganze Weile niemand in der Tür.
Bis … »Brrrrrrrrrrrr!« … der kleine Junge hervorkam und ihm eine lange Nase zeigte. »Wie der Acker, so die Ruben, wie der Vater, so die Buben«, sang er mit seinem dünnen Stimmchen. »Musst du aufs Klo?«
»Und?«, setzte der Journalist nach. »Wer ist denn der Vater von dem Buben da? Wer ist dein Vater? Kannst du mir das sagen?«
»Hoppla!«, rief Fritzi und zog ihr Söhnchen zurück. »So haben wir nicht gewettet. Was wollen Sie hier überhaupt? Das dicke ›Privat‹-Schild oben ist doch wohl nicht zu übersehen? Und du, Odilo, gehst marsch wieder in dein Bett!«
Obgleich der Mann es auf ein Gespräch abgesehen hatte, spürte er, wie ihm heiß wurde im Gesicht. Was sollte er ihr erklären?
»Thea«, platzte er übergangslos heraus. »Es geht um Thea
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