Kirchwies
beschriebener Zettel, auf dem er vermerkt hatte, was er an diesem Tag alles erledigen wollte. Die Exhumierung beantragen. Wenn genehmigt, Obduktion beantragen. Nachfragen, ob seine Kandidatur für den Landtag durch war. Nachfassen, ob die Geldmittel für den Glockenturm genehmigt würden. Dem Pater Bescheid geben, vorher ärgern. Margot ärgern.
Belustigt sah er auf. Beim letzten Punkt war er grad dabei. Doch er hatte noch anderes mit seiner Frau im Sinn. Größeres.
Margot Campari, das wusste jeder, war sozusagen die Dorfzeitung. Was man ihr mitteilte, verbreitete sich in Windeseile. Zuerst unter der Handvoll enger Freundinnen im Dorf, danach bei den Bürgermeistergattinskolleginnen im Landkreis. Danach war es rum, und jeder kannte die Neuigkeit. Wenn sie also beispielsweise erfuhr, dass Thea Brommel wieder ausgegraben werden sollte …
Das Telefon klingelte. In der Hoffnung, es sei das Gericht mit der Genehmigung, nahm er den Hörer ab.
Niemand meldete sich.
»Hallo!«, rief er hinein. »Hallo!«
Keine Antwort.
»Saukerl!«, sprach er und legte auf.
»Komm, ich geb einen aus«, schlug er aufgeräumt vor. »Momentan können wir eh nichts erledigen. Ich lad dich ins Löchl ein. Nimmst mich auf deinem Roller mit?«
Als Fritzi ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, fügte er hinzu: »Ausnahmegenehmigung erteilt!«
»Griaß di, Burgermoasta«, wurde er von der Wirtin vom Kirchwieser Löchl mit einem Seitenblick auf Fritzi empfangen. »Moanst ned, dass d’ wieder Ärger mit deiner Frau kriagst?«
Alles war im Löchl wieder so, wie es sich für einen Landgasthof in dritter Generation gehört. Die Tische mit den blank gescheuerten Platten waren zurechtgerückt, Vasen mit Sommerblumen drauf, daneben Steingutkrüge mit in weiße Servietten gewickeltem Besteck, Geranien in den Fensternischen, die alte Holzvertäfelung frisch gewienert, die Biertheke in allerbestem Schuss. Es roch nach kaltem Bier, Lüngerl und heißen Semmelknödeln.
Das Chaos der Hochzeitsgesellschaft hatte keine Spuren hinterlassen. Ebenso wenig der Zusammenstoß des schweren Wagens mit der Hausmauer. Alles war wie immer. So wie droben der blaue Sommerhimmel und drüben die saftig grünen Wiesen und die glücklichen Kühe auf der Alm.
Die Neuankömmlinge beachteten die Wirtshausidylle nicht und schritten, ohne sich umzuschauen, durch die Außentür hinaus in den Biergarten.
»Da draußen ziacht’s aber«, rief ihnen die Wirtin hinterher.
»Uns wird’s ned ziehen«, erklärte Fritzi mit fester Stimme.
Der Biergarten war wie hingemalt. Wie auf einem Gemälde von Max Liebermann oder Alfons Wegener. Tische mit rot-weiß kariertem Tuch auf hellgrauem Kies, Sommerblumen auf jedem Tisch, grüne Gartenstühle und späte Kastanien mit weißen, weißroten und roten Blütenkerzen darüber. Stämme, die dreißig Meter hoch und über zweihundert Jahre alt waren.
»Dürfen wir?«, fragte Campari die Wirtin, die ihnen gefolgt war. Ohne eine Antwort abzuwarten, beschlagnahmte er einen Platz an der Hauswand, wo es geschützt war, und schob Fritzi einen Stuhl unter.
»Ihr könnt euch auch in den Pavillon setzen«, schlug die Wirtin vor. Sie hatte die Visage eines Goldhamsters.
Campari winkte ab. »Was habts zum Essen?«, fragte er die Wirtin.
»Ganz frische Weißwürscht hätt ma«, sagte sie. »Oder zum Beispiel den Schweizer Wurschdsalad als Brotzeit.«
Campari zögerte. Sie warfen einen Blick auf die Speisekarte.
Bayerischer Tapas-Teller. Schweinsbraten natürlich. Kalbsschnitzel. Hintere Schweinshaxn mit Krautsalat und Kartoffelknödel. Wildschweinmedaillons mit Blaukraut und Spätzle. Seesaibling mit Rieslingschaum. Nachtisch: Apfelkücherl oder Topfenmarillenknödel.
»Ich nehm des Bauerngröstl vom Tafelspitz«, entschied Campari.
»Und ich des Speckbrettl vom heimischen Speckfarmer.«
»Du weißt scho, wer dieser Speckfarmer is?«, tat Campari wichtig.
»Keine Ahnung«, bekannte Fritzi.
»Na, unser Benedikt natürlich. Der lässt die Säu nur unter seinen Eichen grasen und füttert sie mit Kräutern.«
»Aha.«
Fritzi war unentschlossen. Thea kam ihr in den Sinn. Der Wandra. »Spinatknödel mit Reherlsoß«, bestellte sie auf Vegetarisch um.
Droben in der Höh besprachen sich die Amseln. Krähen schimpften in den Wipfeln, und irgendwo hämmerte der Buntspecht.
»Das Ausgraben einer Leiche bedeutet für den Täter einen enormen Stress«, erklärte Campari. Er nahm einen tiefen ersten Zug von seinem Weißbier. »Man muss nur vorher
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