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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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gedacht, dass uns die Täterin – oder womöglich doch der Täter – durch einen oder zwei Bluffs irreleiten wollte …« Der Rest seines Monologs ging in Gekreische unter, das vom Eingang kam.
    »Ja, da bist du ja!«, tönte es durch den weitgehend verlassenen Hochzeitssaal. »Aber wieder ned allein. Des hab i mir scho denkt. Immer treibst dich mit einer anderen Schlampn rum. Streichelst sie sogar am Kopf. Ich hab’s genau gesehen!«
    Nicht Margots Ehemann, sondern Fritzi Gernot war schockiert. Sie schoss von ihrer Bierbank hoch. »Wie bitte? Was sagst du da?«
    Odilo stand fasziniert daneben.
    Drohend machte Fritzi ein paar Schritte auf Margot zu. »Was bin ich? Eine Schlampn?«
    Bevor sich Fritzi auf die Frau stürzen konnte, rannte Odilo auf Margot zu und schlang die dünnen Arme um ihre Beine, die in ausgebeulten Jeans steckten.
    Margot wehrte sich. Sie schaffte es, sich von Odilo zu befreien, und ging laut kreischend auf Fritzi los.
    Beide Frauen lagen sich in den Haaren. Wälzten sich am Boden. Wobei Fritzi den Anschein erweckte, als wolle sie der anderen nicht wehtun. Technisch wäre sie hundertfach im Vorteil gewesen. Noch immer ineinander verkrallt, rollten sie wie ein riesiges Wollknäuel gegen einen Tisch. Ein halb volles Weißbierglas kippte und ergoss sich mitten über Margots Haar.
    Odilo quietschte vor Vergnügen.
    Campari hatte dem Schauspiel belustigt zugesehen. Nun ging er dazwischen. Er packte einfach seine Frau unter den Achseln und zog sie hoch. Sie wollte kratzen und beißen, doch gegen die urwüchsige Kraft ihres Mannes hatte sie keine Chance.
    Während Fritzi sich mühelos hochrappelte, holte Campari aus.
    Fritzi fiel ihm in den Arm. »Nein, schlag deine Frau nicht!«, rief sie.
    Margot ließ die Arme hängen, schnaufte tief und schoss abwechselnd wütende Blicke auf beide ab.
    Odilo hing schon wieder an ihren Beinen.
    »Um unser Gespräch zu Ende zu führen«, sagte Campari mit schiefem Mund halblaut zu Fritzi. »Ich glaub nicht mehr an einen Bluff.« Für einen kurzen Augenblick zog er Fritzi mit sich. »Wir haben jetzt die Handschuhe und werden in ein, zwei Tagen das Ergebnis der DNA -Probe vorliegen haben. Bevor wir alle Bewohner von Kirchwies zu einer Speichelprobe antreten lassen, werden wir auf eine andere Möglichkeit zurückgreifen.«
    Er beugte sich zu Fritzi und flüsterte etwas in ihr Ohr. Sie machte ein entgeistertes Gesicht.
    Margot Campari führte wieder etwas im Schilde. Sie schnaubte wie ein Walross und fuchtelte wild mit den Armen. Doch Odilo hielt sie mit aller Kraft umschlungen. Sie wäre über ihn gefallen, hätte sie sich losgerissen.
    Fritzis Augen hingen voll Zärtlichkeit an ihrem Sohn. »Kinder tun oft unbegreifliche Dinge«, sagte sie liebevoll. »Sie sind der Höhepunkt menschlicher Unvollkommenheit. Kinder weinen und lachen in den unmöglichsten Momenten. Odilo wird nachher ärgerliche Fragen stellen. Er erwartet, dass man ihn umsorgt, immer für ihn da ist. Er will ernährt werden, gewaschen, ins Bett gebracht, und ich soll ihm die Nase putzen. Und doch – in diesem Augenblick bricht der Bub mir das Herz.«
    Odilo löste langsam seine Arme wieder von Margots Beinen. Dann schloss er die Augen wie der Pater am Altar, spitzte die Lippen und sprach: »Nach oben schau, auf Gott vertrau, nach Wolken wird der Himmel blau.«
    Darauf schnalzte er mit der Zunge.

drei
    Der Todesengel hatte ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht. Sie waren zu nahe an ihm dran. Die Sache drohte aus dem Ruder zu laufen. Bei allem, was er hörte und vor allem beobachtete, fühlte er sich nicht mehr sicher. Am Tatort hatte er alles in Ordnung gebracht, und er hatte vor allem Handschuhe getragen. Er hatte sich unauffällig verhalten, war bestimmt nicht gesehen worden. Und er war sich sicher, keine Spuren hinterlassen zu haben.
    Das Gleiche hatte sich abgespielt, als er den Jungen geholt hatte. Keine Spur, kein Laut, kein Gesehenwerden. Der Bub hatte sich ruhig verhalten, er schien sogar Spaß an dem Spiel gehabt zu haben.
    Hätte er ihn töten und verschwinden lassen sollen?
    Nun hatten sie die Handschuhe gefunden. Das war schlecht. Sie würden vielleicht das Blut bestimmen können. Doch um weiterzukommen, benötigten sie Vergleichsblut. Er war intelligent und belesen genug, sich das zusammenzureimen. Wenn sie allein die DNA anhand der Handschuhe bestimmen konnten und sie das Ergebnis hätten, würde ihnen das zunächst nicht weiterhelfen.
    Es war wie bei der Vaterschaftsbestimmung.

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