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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Farben, rotes Steinkraut, blaue Lobelien und Fuchsien in verschiedenstem Rot, dazu Geranien und Enzianbäumchen neben all dem Grün. Der Friedhof von Kirchwies als verkappte Landesgartenschau war Heidis Werk.
    Es war kurz nach neun – die Uhrzeit der Graböffnung, die in sämtlichen Medien verbreitet worden war. Campari sah sich um. Anton Scheiberl stand gelangweilt gegen die Friedhofsmauer gelehnt, der Schmied war da, der Embacher Xari, der Brunnerbeck, der Bauer Benedikt, die dicke Stadtmüllerin aus Theas Nachbarhaus, im Rollstuhl von Heidi geschoben. Pater Timo und Wang Ming hielten sich knapp neben der Absperrung in unmittelbarer Nähe des Grabs auf. Alle Bauern der Umgebung schienen dabei zu sein. Theas Nachbarn von gegenüber, dazu etwa zehn Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr. Die Gebirgsschützen kamen geschlossen und in Tracht, dazu die Hinterberger Musi, ein Bläserquartett, das sich anschickte, aufs Neue einen letzten Gruß für die verstorbene Thea zu spielen.
    Prickelndes Schweigen. Niemand sprach ein Wort.
    Wer fehlte, waren Pauli, der Maler, und Fanny, die Haushälterin.
    Und der Friedhofsdienst. Der den Sarg ausgraben sollte. Weit und breit war nichts von ihm zu sehen.
    Breitenberg hatte sich gut getarnt oben in einer Eiche positioniert. »Ich hab den neuesten Sony-Camcorder dabei«, hatte er Campari gegenüber aufgetrumpft. »Der letzte Schrei. Damit kämst sogar du zurecht.« Er betrachtete das Geschehen unter sich wachsam wie ein Tier.
    Um zwölf nach neun schritten die drei Männer vom Friedhofsdienst heran.
    Zuerst fingen sie mit Spaten an, Theas Grab, das hinterste an der Mauer, zu öffnen. Dann benutzten sie mittelgroße Schaufeln. Zuletzt nahmen sie die bloßen Hände, um den Sarg vom letzten Krümel Erde zu befreien.
    Als hätte ein Dirigent den Einsatz angeordnet, erhob sich plötzlich ein krächzendes Geschrei. Krähen flatterten mit geöffneten Schnäbeln durch die Bäume ringsum. Über ihnen bemalten drei sich kreuzende Passagierflugzeuge den Himmel mit Kondensstreifen.
    Unten der frisch ausgegrabene Sarg.
    Campari kam sich vor wie in einem Harry-Potter-Film.
    Breitenbergs Aussehen passte haargenau zu der Stimmung. Er hatte dunkle Ringe um die Augen. Er wirkte, als hätte er sich die Nacht um die Ohren geschlagen.
    Noch war alles ruhig.
    Der Sarg war fast gehoben, die Hinterberger Musi machte sich zum letzten Auftritt fertig. Weitere Besucher traten durch das schmale Friedhofstörl.
    Breitenberg filmte sie alle. Der Videokamera entging nichts. Keine Bewegung. Keine Miene. Kein heimlicher Fingerzeig. Sie nahm auch die wenigen Menschen auf, die nicht zum Dorf gehörten.
    Wenn man live nichts Auffälliges registrierte, würde man später bei sorgfältiger Auswertung der Videos möglicherweise etwas finden.
    Das Ausgraben der Leiche bedeutete für den Täter einen enormen Stress. Campari hatte im Lokalfernsehen erklärt, dass er den Fall lösen würde, und wenn er zehn Jahre dafür brauchen würde. Doch so lange brauche er nicht. Denn der Fall stünde kurz vor dem Abschluss. Es fehlten nur noch einige wenige Details, die man durch die neuerliche Obduktion zu erhalten hoffe.
    Breitenbergs Blick schweifte über die Menge. In dem Zimmer war es letzte Nacht übermäßig hell gewesen. Strahlend weiße Farbe, Fenster, Glas, Metall, Kunststoff. Ein wenig einladender Raum ohne Vorhänge an den Fenstern, ein schmaler weißer Schrank, ein Rollwagen aus weißem Kunststoff vor dem Krankenhausbett im Rosenheimer Klinikum. Und im Bett Fritzi Gernot mit weißem Kopfverband.
    Ein Besuch war strengstens untersagt. Dennoch hatte Felix Breitenberg es geschafft, zu der Patientin vorzudringen. Seine Hand lag auf ihrer Hand. Sie lächelte. Die Augen strahlten. Die beiden sprachen kein Wort. Hielten sich nur an der Hand.
    Wie lange sie sich so lieb gehabt hatten, wusste er später nicht mehr. Vielleicht zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten. Nicht länger. Dann hatte er sich auf demselben Weg zurückgezogen, wie er gekommen war.
    Breitenberg ließ seinen Blick hin zum Eingangstörchen wandern. Er hielt den Atem an.
    Odilo! Fritzis Bub an der Hand von Margot Campari. Margot sah sich suchend um.
    Odilo hatte etwas in der Hand. Nach näherem Hinsehen entpuppte es sich als kleiner Wildblumenstrauß. Breitenberg konnte es selbst aus der Entfernung erkennen. Mohn, Kornblumen, Margeriten.
    Der Bub scannte die Gegend. Schließlich schien er zu finden, was er suchte.
    Ihn, Breitenberg, droben im Baum!
    Odilo löste sich von

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