Kirmes des Todes
das Kirmesprogramm noch zu verbessern. So hatte er Franz Zins, dem früheren Leiter des Amtes für Gewerbe und Marktangelegenheiten in der Dürener Stadtverwaltung, der wegen seiner souveränen und geschickten Art, den Rummel für die Stadt zu organisieren, liebevoll „Kirmesdirektor“ genannt wurde, unter anderem vorgeschlagen, am Eröffnungstag der Annakirmes die Weltmeisterschaft im Kirschkernweitspucken auszutragen. Bei der Einführung einer alljährlichen Wahl der Miss Annakirmes hatte Bahn ebenfalls kräftig mitgemischt.
Und auch in diesem Jahr freute sich der Journalist schon auf das Volksfest, das in weniger als zwei Wochen beginnen sollte. Immer am letzten Samstag im Juli wurde die Kirmes Punkt vierzehn Uhr mit drei Böllerschüssen eröffnet, und er würde dabeisein.
Aber den Typen, der jetzt vor ihm stand, den konnte Bahn beim besten Willen nicht mit der Annakirmes in Zusammenhang bringen.
„Ich seh’s Ihnen an, Sie kriegen’s nicht auf die Reihe.“ Wieder lächelte der Penner verständnisvoll. „Kein Wunder, woher sollen Sie mich auch wiedererkennen.“ Entschuldigend und verlegen rückte er den schweren Lodenmantel zurecht.
Bahn war sich nicht schlüssig. Sollte er sich auf das Gespräch weiter einlassen oder sollte er sich zurückziehen? Gib’ ihm ‘ne Mark und es ist gut, sagte er sich und griff wieder in seine Lederjacke.
„Drei Jahre ist’s schon her, daß wir uns auf der Annakirmes das letzte Mal gesehen haben, Herr Bahn.“ Der Penner hatte ihm die Entscheidung abgenommen. „Ihre Freundin hatte da doch die Wahl zur Miss Annakirmes gewonnen. Sie waren darauf noch stolzer als Ihre Freundin und haben unentwegt gestrahlt.“
Bahn erinnerte sich nur zu gut an diese Zeit. Er hatte damals alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit seine Dauerfreundin Gisela bei dem Wettbewerb gewann. Und es hatte geklappt, dank Schausteller und Zins. Sie hatten Gisela im Wettbewerb mit allen Mitteln unterstützt und sie schon vorher mit allen Spielen und Fragen vertraut gemacht. Die kleine Kulissenschieberei zum Nachteil der anderen Kandidatinnen war nie rausgekommen.
Heutzutage wäre das nicht mehr möglich gewesen. Da hatte sich nach dem Abschied von Zins zuviel auf dem Rummel verändert, da war eine Wahl zur Miss Annakirmes nicht nur mit repräsentativen Pflichten, sondern auch mit handfesten wirtschaftlichen Vorteilen verbunden.
„Da waren Sie doch noch bei mir an der Losbude“, riß der Alte Bahn aus der Erinnerung. „Ich habe Ihrer Freundin einen Riesenteddybär gegeben. Sie haben uns dann fotografiert. Beim Zauberer nebenan haben wir dann mit Ihrer Freundin und dem Plüschbären den Trick mit der Kettensäge versucht. Das war doch eine gewaltige Sauerei.“
Bahn stutzte. Es fiel ihm wieder ein. Der Bär war durch die Kettensäge zerfetzt worden, seine Freundin war, selbstverständlich, unversehrt geblieben. Das hatte damals eine Supergeschichte gegeben vom Teddybären, der sich für Miss Annakirmes geopfert hatte.
Das war Kirmes, das war Schau pur gewesen. „Und Sie waren damals an der Losbude?“, fragte er den Penner interessiert.
„Ja, ich war da an der Bude einer der Losverkäufer.“ Der Säufer stockte kurz und senkte verschämt den Blick. „Schmitz ist mein Name.“
Der Name kam Bahn bekannt vor. Schmitz gab es in Düren zwar so häufig wie kaum einen anderen Namen, von Müller einmal abgesehen, aber dieser Mann, der da vor ihm stand, den kannte er tatsächlich.
„Schmitz? Sind Sie etwa der Kirmes-Schmitz?“ Bahn schüttelte den Kopf. Das konnte eigentlich nicht sein.
Kirmes-Schmitz war trotz seiner ihm eigenen Zurückhaltung doch eine Institution gewesen auf der Annakirmes. Kirmes-Schmitz war der beste Losverkäufer in Düren gewesen. Die Losbuden rissen sich alljährlich förmlich um ihn, wenn sie den Zuschlag für Düren bekommen hatten. Aber er war immer nur einer treu geblieben. Kirmes-Schmitz hatte den richtigen Draht zu den Kirmesbesuchern, an ihm kam keiner vorbei im noch so großen Gedränge, ohne ein Los gekauft zu haben. Mit hohen Provisionen hatten sie ihn gelockt, auch auf dem Öcher Bend in Aachen und auf dem Pützchens Markt in Bonn-Beuel mitzuarbeiten.
Doch Kirmes-Schmitz hatte stets abgelehnt. Für ihn gab es nur die eine Kirmes, die Annakirmes in Düren.
Aber das war nur die eine Seite von Kirmes-Schmitz gewesen. Er hatte es gar nicht nötig, Lose zu verkaufen. Er tat es aus purem Spaß an
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