Kirmes des Todes
Schwung weiter.
Jung und dynamisch war auch Grundmann, der das Gespräch forsch leitete und es geschickt verstand, für die neuen Attraktionen zu begeistern. „Wir müssen dem Publikum jedes Jahr etwas Neues bieten“, erklärte er. „Wir müssen noch viele alte Zöpfe abschneiden.“
Bahn erkannte die Verbitterung bei den älteren Schaustellern, er vernahm aber auch die Zustimmung der jüngeren. Die Neuen dominierten, ihnen ging es nicht mehr um das Persönliche, ihnen ging es ums Geschäft. Auch dieses Pressegespräch war für sie Teil ihres Geschäfts. Zeit ist Geld, Zeit für ein anschließendes Arbeitsessen war da nicht mehr drin, stellte Bahn bedauernd fest.
Rasch beendete Grundmann die Zusammenkunft. Zum Abschied überreichte er den Journalisten einen Schnellhefter, in denen sich vorgefertige Texte über die Kirmes und Bilder der neuen Fahrgeschäfte befanden. Auch hatte er eine Liste beigelegt, in der alle Schausteller aufgeführt waren.
Bahn blieb noch mit einigen älteren Schaustellern in einer Gruppe stehen. Für sie wie für ihn war das Gespräch immer der Moment des Wiedersehens nach einem Jahr gewesen. Doch war die Stimmung nicht mehr so unverkrampft und locker wie früher.
„Wir stehen alle im Streß, Helmut“, erklärte ihm Werner Holt, der schon seit Jahren mit einer Geisterbahn zur Annakirmes kam. „Wenn ich nicht in jedem Jahr etwas verändere und nicht zusätzliche Attraktionen einbaue, kann ich mein Geschäft bald vergessen.“ Holt zeigte in die Runde. „Du siehst ja selbst, wie sich bei uns alles verändert. Da mußt du richtig froh sein, wenn du Bekannte triffst.“
Man schwieg sich an. Man wollte gerne miteinander reden, wußte aber nicht, worüber. Die Offenheit der früheren Jahre war weg. Man war zum Eigenbrötler geworden und sah in dem anderen den Konkurrenten, nicht mehr den Kollegen.
„Wißt ihr eigentlich, was aus Kirmes-Schmitz geworden ist?“ Bahn beendete das peinliche Schweigen, nachdem er sich vergewissert hatte, daß die anderen Journalisten abgezogen waren. Gerade in diesem Moment stieß Grundmann zu dem kleinen Kreis.
„Feierabend, meine Herren!“, mischte sich Grundmann jovial ein. „Wir brauchen den Sitzungssaal für einen Ausschuß.“ Holt überhörte die Aufforderung. „Kirmes-Schmitz, das war noch ein Original. Keine Ahnung, was mit dem los ist, Helmut. Wissen Sie etwas, Herr Grundmann?“
Grundmann war erstaunt. „Kirmes-Schmitz? Kenne ich nicht. Das muß vor meiner Zeit gewesen sein. In den letzten drei Jahren gab’s den nicht auf der Annakirmes.“ Er lachte. „Den hat wohl Zins mitgenommen.“ Damit war für ihn das Thema erledigt und er ging.
Bahn sah keine Veranlassung, Holt über das Schicksal von Kirmes-Schmitz aufzuklären. Er ließ ihn stehen, ging zu Fuß zur Redaktion und schrieb seinen Bericht über die tollen und neuen Attraktionen, die Grundmann in diesem Jahr für die Annakirmes gewinnen konnte. In die Pressemappe schaute er erst gar nicht hinein. Das lobende Gesülze vom städtischen Presseamt wollte er sich nicht antun. Die Fotos waren erfahrungsgemäß ohnehin unbrauchbar, da sie aus Werbeprospekten stammten. Bahn wollte die Mappe mit nach Hause nehmen. In seinem Arbeitszimmer hatte er schon vieles über die Annakirmes aus den letzten Jahren gesammelt.
Das mußte man Grundmann schon bei allem Neid lassen, erkannte Bahn während des Schreibens objektiv an. Er hatte es in jedem Jahr verstanden, neue Fahrgeschäfte aufzutreiben, die vermehrt Besucher nach Düren zogen. In den letzten drei Jahren war die Zahl der Kirmesfreunde um rund einhundertfünfzigtausend gestiegen. Eine Zahl, die bewies, daß die Stadt und Grundmann mit ihrer Konzeption den Zeitgeist trafen.
Bahn sprach mit Waldhausen über den Wandel bei der Annakirmes. Er wollte eigentlich einen Kommentar dazu schreiben. Doch hielt ihn Waldhausen davon ab. „Das bringt doch nichts, Helmut. Den Besuchern ist es schnurzpiepegal, was war und was ist. Die wollen Show und Unterhaltung, und das kriegen sie hier in Düren geboten.“ Der Lokalchef grinste. „Du könntest allenfalls schreiben, daß die Annakirmes die Klitsche in Aachen total an die Wand drückt. Wer einmal in Düren war, läßt den Öcher Bend links liegen.“
Bahn winkte ab. „Okay, du hast gewonnen.“
„Und was macht Kirmes-Schmitz?“, fragte Waldhausen neugierig, während er sich einen Blouson überzog.
„Den habe ich nicht gefunden“, bekannte
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