Kirmes des Todes
Diesel-Jeans waren nicht verwaschen oder zerknittert und die Lloyd-Schuhe waren frisch poliert.
Bahn machte keinen Hehl daraus, er hatte es mit knapp fünfunddreißig Jahren geschafft. Das Geld stimmte, seine Dauerfreundin Gisela war fast immer für ihn da, der alte Porsche 911 stand im eingeschränkten Halteverbot in der Nähe der Redaktion und sein Haus in der Boisdorfer Siedlung nahm mit zunehmender Renovierung langsam die von ihm gewünschte Form an. Mir geht’s gut, sagte er sich zufrieden, während er seine alte, abgewetzte und doch elegante Lederjacke vom Haken nahm.
Fräulein Dagmar hatte mit ihrer Überlegung recht gehabt, stellte Bahn fest, als er vom Parkhaus an der Philippstraße um die Ecke zur Langemarckstraße bog. Die überschaubare Schar der Pennbrüder hatte sich in dem kleinen Park versammelt. Einige saßen auf dem Brunnenrand, andere hatten es sich im Gras bequem gemacht, auf den drei Bänken lagen ausgestreckt schlafende Gestalten. Die Penner musterten Bahn ausgiebig, der sich langsam und zögernd näherte.
Gibt’s denn hier ‘nen Häuptling oder so?, fragte sich Bahn. Wen sollte er ansprechen? Die Typen hatten alle nicht seine Kragenweite. Ungepflegt und unrasiert, schäbig gekleidet lungerten die Penner herum, manche hatten Bierdosen in der Hand, leere Flaschen lugten aus dem vollen Abfallkorb. Viele Plastiktüten flogen umher. Es fiel Bahn auf, daß alle Männer dick vermummt waren. Alles, was sie besaßen, ihre abgetragene, schmutzige Kleidung, trugen sie am Leib.
„Was wollen Sie hier? Kann ich irgendwie behilflich sein?“ Überrascht von der Höflichkeit, mit der er angesprochen wurde, wandte sich Bahn dem Mann zu, der ihn gefragt hatte. Der Penner unterschied sich nicht sonderlich von seinen Weggefährten. „Suchen Sie jemanden?“
Offensichtlich war es keine Seltenheit, daß ein Fremder in die Welt der Penner eindrang auf der Suche nach einem Verschwundenen, dachte Bahn. „Ja“, bestätigte er, während er seine Augen durch das Gelände schweifen ließ. Doch er konnte Kirmes-Schmitz nicht entdecken.
„Wen suchen Sie?“, hakte der Penner höflich, aber im Ton schon bestimmter, nach.
„Kirmes-Schmitz“, antwortete Bahn. „Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Hier jedenfalls ist er nicht.“
„Wenn er nicht hier ist, dann gehört er auch nicht zu uns. So einfach ist das. Kirmes-Schmitz, den gibt es bei uns nicht.“
„Kann er denn woanders sein? Vielleicht gibt es ja noch einen anderen Treffpunkt?“
Für seine Frage erntete Bahn nur ein mitleidiges Lächeln. „Wer will uns denn schon? Wir müssen doch froh sein, daß uns die Stadt hier duldet.“ Der Penner strich sich mit zittrigen Händen durchs Haar. „Vielleicht geistert Ihr Kirmes-Schmitz ja als Solist durch die Gegend.“
Er bat Bahn um eine Beschreibung und fiel ihm ins Wort, als Bahn den zu großen Lodenmantel erwähnte.
„Ach, Sie meinen Loden-Willi.“ Er lachte hell auf. „Das ist eine komische Type. Den sehen wir manchmal im Winter, wenn es irgendwo Suppe gibt.“ Bereitwillig erzählte der Penner. „Loden-Willi ist eigentlich keiner von uns. Das ist ein Einzelgänger, der fast den ganzen Tag auf einer Bank an der Rur, meistens in der Nähe des Annakirmesplatzes, sitzt. Der Loden-Willi ist ein Edelschlucker. Der trinkt nur Metaxa.“ Für ihn stand das Urteil fest: „Der hat ‘ne Macke. Dem haben se das Leben gestohlen.“ Nein, Loden-Willi sei keiner von ihnen. Er hielte sich von allen fern und würde mit niemandem sprechen. „Wir sind Brüder und wir sind hier unter Brüdern, wenn Sie wissen, was ich meine.“
Bahn nickte verständnisvoll, obwohl er nicht verstanden hatte. Nur soviel hatte er mitbekommen: In diesem Kreis konnte er Kirmes-Schmitz nicht finden. Grußlos machte er auf dem Absatz kehrt und ging zum Parkhaus zurück, in dem er den Porsche abgestellt hatte.
Geradeaus durch die Stadt fuhr er zum Kirmesplatz. Er war immer wieder erstaunt, wie dürftig und ungeordnet das riesige Gelände außerhalb der Kirmeszeit aussah. Noch deutete nichts darauf hin, daß in knapp vierzehn Tagen hier heitere, bunte Rummelatmosphäre herrschen würde. Quer preschte Bahn über den Platz, fuhr dann hinter dem Firmengelände von Wolff und Söhne über den Rurdammweg parallel zur Eisenbahnstrecke der Rurtalbahn. Doch blieb seine Suche nach Kirmes-Schmitz erfolglos. Auf vielen Bänken hockten zwar Erholungssuchende. Aber von Kirmes-Schmitz gab es keine
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