Kirmes des Todes
wenig. Ich bin kein Journalist mehr, korrigierte Bahn den Penner, während er mit Tastatur und Maus hantierte und auf den Bildschirm starrte, ich bin nur noch ein Redaktroniker.
Dennoch nahm er sich vor, sich mit Kirmes-Schmitz zu treffen. Das war schon eine Sache der Solidarität unter altgedienten Kirmesleuten, zu denen sich auch Bahn zählte.
Warum war Kirmes-Schmitz bloß in der Gosse gelandet? Diese Frage interessierte Bahn sehr.
Unter Brüdern
Mit dem neuen Redaktionsleiter war nicht nur ein neues Zeitalter in der Redaktion angebrochen. Waldhausen, der Nachfolger des im letzten November tödlich verunglückten Werner Taschen, hatte auch ein neues Arbeitsklima geschaffen. Waldhausen setzte auf Zusammenarbeit, hielt sich mehr im Hintergrund und zog die Fäden. Er gab den Redakteuren mehr Freiheit für Eigeninitiative und damit zwangsläufig mehr Verantwortung für sich und das Blatt und kompensierte damit den Frust, den das öde Redigieren am Bildschirm schnell auslösen konnte.
Bahn gefiel dieser Stil, er kam ihm entgegen. Mit Waldhausen, der vom Bonner Generalanzeiger zum Dürener Tageblatt gewechselt war, lag er auf einer Wellenlänge, was bei Taschen nicht der Fall gewesen war. Bahn hatte nach einem Gespräch mit der Chefredaktion in Köln akzeptiert, daß er nicht DTB-Lokalchef werden konnte. Im nachhinein waren ihm die Gründe egal, man hatte ihm seine Treue zum Verlag mit einer saftigen Gehaltserhöhung versüßt. Unterm Strich hatte er jetzt nicht weniger im Portemonnaie als der drei Jahre jüngere Waldhausen, aber bei weitem nicht dessen Verantwortung.
Bahn berichtete seinem Chef am nächsten Morgen über die Begegnung mit Kirmes-Schmitz, als dieser ihm die Einladung zu einem Pressegespräch der Schausteller anläßlich der Annakirmes gab.
„Kümmer’ dich drum“, kommentierte Waldhausen kurz. „Vielleicht gibt’s ja ‘ne Geschichte. Und jetzt raus!“ Damit gab er scherzhaft zu verstehen, Bahn solle sich auf den Weg machen. Geschichten ersitzt man sich nicht mit einem platten Hintern, sondern erläuft man sich, war Waldhausens Devise.
Bahn hatte freie Fahrt. Er wußte, er konnte sich voll auf Kirmes-Schmitz konzentrieren. Sein Chef würde in der Redaktion den ganzen Kleinkram wegputzen, sich zum Redaktroniker reduzieren, um den Journalisten Bahn zu motivieren. Taschen hätte ihm wahrscheinlich die Geschichte weggenommen und dann als seine eigene dargestellt. Da war Waldhausen viel kollegialer.
„Weißt du, wo ich hier in Düren die Penner finde?“, fragte Bahn die Redaktionssekretärin.
Fräulein Dagmar, die schon seit Jahrzehnten aus dem Sekretärinnenzimmer heraus als ruhender Pol die Redaktionsgeschicke dirigierte, runzelte erstaunt die Stirn. „Bist du etwa unter die Schluckspechte gegangen?“ Sie dachte kurz nach. „Ich würde mein Glück entweder im Stadtpark versuchen oder am Brunnen im Park zwischen Langemarckstraße und Josef-Schregel-Straße.“ Sie blickte zur Uhr und überlegte. „Um diese Zeit werden sie wohl in der Innenstadt sein.“
Sie mußte lachen, als sie Bahns verblüfft-fragendes Gesicht sah. „Die Geschäfte haben gerade aufgemacht. Die Penner müssen sich doch nach der langen, trockenen Nacht Nachschub holen. Und den gibt’s nun mal nicht auf der grünen Wiese“, erklärte sie. „Vielleicht triffst du ja auch den Muschelsack zum gemeinsamen Schlucken.“ Den Seitenhieb auf einen stadtbekannten Journalisten konnte sich Fräulein Dagmar nicht verkneifen. Der Kollege betrieb fast in Blickkontakt zum Pennertreff auf der Josef-Schregel-Straße seit vielen Jahre schon ein Redaktionsbüro, und er, ausgerechnet ein Verwandter, mit dem Fräulein Dagmar schon seit Jahren im familiären Dauerclinch lag, hatte die rote Nase beileibe nicht nur vom chronischen Schnupfen. „Der hat sich bei den Pennern doch immer die Informationen geholt. Das macht der bestimmt jetzt noch.“
Aber auch Bahn bekam noch eine spitze Bemerkung mit auf den Weg. „So wie du rumläufst, erkennen die dich gleich als einen der ihren an. Da bist du gleich unter Brüdern.“
Fräulein Dagmar stammt halt noch aus einer Zeit, als die Herren Redakteure mit Schlips und Anzug durch die Gegend liefen, dachte sich Bahn zu ihrer Entschuldigung. Er hatte an seinem Äußeren nichts auszusetzen, wie er mit einem raschen Blick in den Garderobenspiegel feststellte. Das blonde Haar war kurz geschnitten und gepflegt, das Lacoste-T-Shirt und die
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