Kirschroter Sommer (German Edition)
schwer.
»Es ist so frustrierend, weißt du?«, fuhr er fort. »Wir dachten alle, das Thema wäre jetzt endgültig abgeschlossen. Der Vorfall mit den Tabletten liegt sechs Monate zurück. Jessica hat immer wieder beteuert, dass sie über ihn hinweg wäre.« Er zuckte mit den Schultern.
»Sie hat gelogen«, sagte ich.
»Ja, das hat sie … Aber noch viel schlimmer ist, dass Domenic nichts aus dem Ganzen gelernt hat.«
»Und dann ist Elyas der Kragen geplatzt …«, murmelte ich und setzte die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen.
»Ja, so ist es. Und ich kann es ihm nicht verübeln.«
»Aber ich versteh das nicht«, sagte ich. »Warum verhält sich Nick so? Ich kenne ihn nicht besonders gut, aber ich hätte ihm das niemals zugetraut.«
Sebastian lächelte wehmütig. »Wir haben selbst keine Ahnung, warum. Eigentlich ist er ein netter Kerl und ein sehr guter Freund. Aber was Frauen angeht …« Er schüttelte den Kopf. »Nick hatte noch nie eine Freundin, ist nie verliebt … Irgendetwas ist seltsam bei ihm. Aber ich bin noch nicht dahinter gekommen, was.«
Ich schwieg eine Weile. »Vielleicht hat er einfach nur zwei Gesichter. Manche Menschen haben das«, sagte ich. Weil ich Sebastians Blick auf mir spürte, wandte ich den Kopf in seine Richtung. Er musterte mich eingehend.
»Und manche Menschen«, sagte er schließlich, »verstecken sich hinter einer Maske, weil sie Angst haben, verletzt zu werden.«
Meine Stirn legte sich in Falten. Was oder besser gesagt wen meinte er damit? Jessica? Nick? Mich? Elyas? Irgendeine Schlampe in Venedig?
Obwohl ich nicht ausmachen konnte, auf wen von allen diesen Menschen er angespielt hatte, fühlte ich mich mit einem Schlag unwohl.
»Baaaassttiiiiii«, hallte es in einer hohen Stimme über die Wiese und wir zuckten zusammen.
Alex, unverkennbar Alex.
»Du musst mir helfen! Soll ich den roten oder den blauen Pullover anziehen?«, schrie sie weiter.
Ich stöhnte über dieses Weib, während Sebastian nur ein Schmunzeln für sie übrig hatte.
»Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie dankbar ich dir bin, dass mir das jetzt erspart bleibt?«, fragte ich.
»Nein, aber ich kann’s mir vorstellen.« Er lachte.
»Tja, ich habe dich vor ihr gewarnt.«
»Ja, und du hattest verdammt Recht damit«, sagte er, bevor er mit den Schultern zuckte und sich ein Lächeln auf seine Lippen schlich. »Aber ich mag sie trotzdem …«
»Ich weiß, was du meinst«, seufzte ich. »Man muss dieses Monster einfach lieben.«
Er nickte. »Entschuldigst du mich? Ich werde dringend gebraucht.«
Ich grinste. »Klar.«
Er zwinkerte mir zu, fasste mir freundschaftlich an die Schulter und stand auf. Noch für ein paar Minuten sah ich ihm nach, bis ich meinen Blick zurück aufs Feuer lenkte. Wie von einem Tonband spielten sich seine Worte noch einmal in meinem Kopf ab.
KAPITEL 20
... still Camping
Gedankenversunken saß ich am Lagerfeuer. Sophie und Andy leisteten mir Gesellschaft, von den anderen fehlte immer noch jede Spur. Wie lange konnte es dauern, sich für einen Pullover zu entscheiden? Sebastian und Alex waren seit über einer halben Stunde verschwunden. Vermutlich ging es längst nicht mehr um die Wahl der Kleidung und die beiden hatten inzwischen eine andere Beschäftigung gefunden. Vielleicht verbrachten sie sogar in diesen Momenten ihr erstes Mal miteinander.
Jan und Domenic waren vorhin kurz bei uns aufgetaucht. Sie hatten sich wortlos ein paar Bier geschnappt und waren anschließend wieder von dannen gezogen. Noch immer beschäftigte mich die Geschichte, die mir Sebastian erzählt hatte. Obwohl ich Nick als »Mann« für mich nie in Betracht gezogen hatte, war er mir trotzdem nicht unsympathisch gewesen. Jetzt stellte sich mir die Frage, wie ich mich so sehr in ihm hatte täuschen können. Dass ich dabei nicht die Einzige war, machte es nicht besser für mich.
Bei Elyas dagegen sollte mich inzwischen eigentlich nichts mehr wundern – und doch war wieder einmal genau das der Fall. Langsam machte sich in mir der Verdacht breit, dass er einen ausgeprägten Beschützerinstinkt besaß. Das würde auch erklären, warum er sich nach dem Unfall meiner Eltern so rührend um mich gekümmert hatte.
Ich zupfte einen Grashalm ab und fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche. Elyas war so unglaublich widersprüchlich in seiner Art. Ich bekam die einzelnen Komponenten einfach nicht zusammengesetzt. Er war wie ein Buch, das mehr Rätsel aufwarf, als dass es Antworten lieferte.
Als
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