Kirschroter Sommer (German Edition)
wir seine und Alex‘ Wohnung. Wir gingen kurz nach oben, um meine Sachen zu holen, die Alex aus dem Jeep mitgenommen hatte. Im Anschluss brachte mich Elyas mit der Enduro nach Hause.
Vor meinem Wohnheim angekommen, rutschte ich nur langsam vom Sitz. Sobald meine Füße den Boden berührten, war der Ausflug vorbei.
Elyas blieb sitzen, streifte sich den Helm vom Kopf und nahm mir meinen ab. Ein Windhauch strich durch seine zimtfarbenen Haare und bewegte sie zart. Das Bild des schlafenden Engels rief sich wieder in mein Gedächtnis, den ich heute Morgen nach dem Aufwachen wie ein Geschenk vorgefunden hatte.
Als ich bemerkte, dass ich ihn anstarrte, senkte ich den Blick. »Andy wartet sicher schon verzweifelt auf sein Motorrad …«, sagte ich.
»Damit hast du wohl Recht.« Elyas fuhr sich durch die Haare und sah auf die Maschine unter sich. »Ich bringe sie ihm besser zurück, bevor er noch ein fünftes Mal anruft.«
»Sag ihm schöne Grüße von mir.«
»Werde ich ausrichten.«
»Der Bärenfrau auch.« Ich sah zu ihm auf und erkannte ein Schmunzeln auf seinen Lippen. Doch schon bald wurden seine Gesichtszüge wieder ernster. Nur sein Blick war weich. Weicher als jemals zuvor. Seine Augen brannten sich in meine und ich schluckte. Ich wünschte mir, dass ich endgültig darin versinken und nie wieder auftauchen würde, mich von dem Strudel davontragen lassen und den Boden unter meinen Füßen für alle Zeiten vergessen würde. Aber noch immer rebellierte ein kleiner Teil in mir, versuchte mich mit allen Kräften von dem Sprung abzuhalten. Ein Teil, der erschreckend schwach geworden war.
»Emely … ich«, hauchte er, klang genauso paralysiert wie ich es war.
»Du?«, flüsterte ich. Was wollte er mir sagen?
»Ich … Ich …« Er räusperte sich und wandte seine Augen von mir ab. »Ich muss dann mal langsam.«.
»Natürlich …«, murmelte ich mit Blick auf den Boden. Stille kehrte ein.
Nach einer Weile hörte ich ihn ausatmen. »Ich danke dir.«
Ich sah zu ihm auf. »Wofür?«
»Dafür, dass du mitgekommen bist … Dafür, dass du mich nicht aus dem Zelt geschmissen hast. Dafür, dass du mir, auch wenn ich’s nicht verdient habe, eine Chance geben willst und dafür, dass du mit mir Motorrad gefahren bist, obwohl es so schrecklich für dich war.«
Es war nicht nur was er sagte, sondern wie er es sagte. Allein von der Betonung seiner Worte blieb mir kurzzeitig die Luft weg.
Es war wie ein Reflex, als ich mich auf meine Zehenspitzen stellte, mich zu ihm hinüberbeugte und ihm einen Kuss auf seine weiche Wange hauchte. Mir war, als würde für einen Augenblick alles stillstehen, die Welt im Hintergrund verstummen, und noch ehe ich realisieren konnte, was ich gerade getan hatte, war es auch schon wieder vorbei. Mit einem unbändigen Klopfen in meiner Brust ließ ich mich zurück auf die Fersen sinken.
Elyas‘ Augen waren geschlossen. Erst nach einem schier unendlich langen Moment blinzelte er.
»Was … war … das?«, stammelte er.
Ich biss auf meine Unterlippe. »Ein Wangenkuss?«
»Und womit … Also wofür … habe ich den verdient?«
»Weil du mich beim Motorrad fahren nicht ausgelacht hast und gerade vier zusammenhängende Sätze ohne das Wort ›Sex‹ von dir gegeben hast.«
Elyas starrte mich an, hielt die Erklärung offenbar noch immer nicht für ausreichend. Aber weil meine Miene ernst blieb, war er gezwungen, mir Glauben zu schenken. »Ehm …«, stammelte er. »Ich … Ich sollte jetzt ganz schnell verschwinden, bevor ich noch irgendetwas sage oder mache, womit ich wieder alles vermassele.«
Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich nickte.
»Schlaf gut, Emely«, flüsterte er, bevor er sich den Helm aufsetzte.
»Gute Nacht, Elyas …«
Er startete den Motor, warf mir noch mal einen Blick zu und fuhr schließlich davon. Noch eine ganze Weile blieb ich auf der Straße stehen und sah ihm nach. Irgendwann drehte ich mich weg, fühlte mich leicht wie ein Blatt im Herbstwind, und ging nach oben.
Als ich die Tür öffnete, wurde ich von Eva schon erwartet. Noch während ich auspackte, musste ich ihren Schwall Fragen über mich ergehen lassen und ihr Rede und Antwort stehen. Ein paar bedeutende Kleinigkeiten, die Elyas und mich betrafen, ließ ich jedoch aus.
Erst als sie sich eine Stunde später verabschiedete, weil sie noch mit Nicolas verabredet war und dort die Nacht verbringen würde, kam ich ein bisschen zur Ruhe. Ich legte mich aufs Bett und bewegte mich für die nächsten
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