Kirschroter Sommer (German Edition)
es schließlich um seine Schwester ging, an der ihm wahrscheinlich genauso viel lag wie mir, nahm ich es ihm unter Vorbehalt ab.
Den Rest der Fahrt verbrachten wir in Stille und als wir wenig später und mit zehn Minuten Verspätung den Vorplatz der Uni erreichten, legte ich die Hand auf den Türgriff.
»Herrgott, jetzt warte doch mal kurz!«, hielt er mich zurück. »Wieso hast du es immer so eilig, von mir wegzukommen?«
»Ich denke, die Antwort kannst du dir selbst geben. Außerdem hat meine Vorlesung vor zehn Minuten begonnen und ich hasse Starauftritte .«
»Den Starauftritt hast du jetzt so oder so, also kommt es auf diese eine Minute auch nicht mehr an.«
Ich seufzte, lehnte mich genervt wieder in den Sitz und fragte mich, warum zum Teufel ich das tat. »Was auch immer du willst, fass dich kurz.«
Er zögerte einen Augenblick, so als müsse er sich seine Worte erst zurechtlegen. »Was machst du heute Abend?«, fragte er schließlich.
»Bitte was?«
»Was du heute Abend machst?«, wiederholte er.
Bildete ich mir das nur ein oder wollte sich Elyas gerade mit mir verabreden?
»Arbeiten«, sagte ich knapp.
»Und morgen?«
»Sag mal, was genau soll das hier werden?«
»Ich würde mich einfach nur gerne mit dir treffen. Nichts weiter«, erklärte er und hätte es nicht aus dem Mund von Elyas Schwarz gestammt, hätte mich die Glaubwürdigkeit vermutlich überzeugt.
»Ich finde, wir treffen uns schon oft genug«, entgegnete ich und öffnete die Tür. Nachdem ich ausgestiegen war, drehte ich mich noch einmal zu ihm. »Tut mir leid, so schön es auch immer mit dir ist, aber ich muss jetzt wirklich los. Danke fürs Fahren.« Mit diesen Worten schloss ich die Tür und eilte zu dem Gebäude, in dem meine Vorlesung stattfand.
» Ich würde mich einfach nur gerne mit dir treffen. Nichts weiter.«
Ich schnaubte. Was für ein Vogel.
Kopfschüttelnd rannte ich weiter und kam nach ein paar Minuten völlig außer Atem beim Hörsaal an. Natürlich blieb mir mein Starauftritt nicht verwehrt, denn unmittelbar nachdem ich die Tür geöffnet hatte, bekamen alle Anwesenden ihr unausgesprochenes Stichwort und drehten die Köpfe schlagartig in meine Richtung. Ich sah zu Boden und suchte mir unter den Blicken der anderen schnell einen Platz. Dort angekommen rutschte ich auf dem Sitz so weit runter wie nur möglich und traute mich erst wieder ein bisschen nach oben, als die allgemeine Aufmerksamkeit sich wieder dem Professor zuwandte, der am Fuße des Raumes stand und eine Vorlesung hielt. Er sprach über die Poststrukturalistischen Ansätze , was eine Methode der Textinterpretation aus den sechziger Jahren war und sich als genauso kompliziert herausstellte, wie es sich anhörte.
Dieser Vorlesung folgten noch zwei weitere und nachdem ich alle mehr oder weniger erfolgreich hinter mich gebracht hatte, setzte ich mich noch für eine halbe Stunde zum Lernen in die Bibliothek.
Gleich im Anschluss und ziemlich ausgelaugt begab ich mich in mein Zimmer. Die kleine Hoffnung, eine neue Mail von Luca erhalten zu haben, erfüllte sich nicht, und so nutzte ich die wenige verbleibende Zeit, um zu duschen. Ich genoss die Entspannung, die ich kurzweilig von dem warmen Wasser bekam, und schlüpfte anschließend in meine Kleidung. Obwohl ich längst unterwegs zur Arbeit hätte sein müssen, konnte ich es mir dennoch nicht verkneifen, noch ein weiteres Mal mein E-Mail-Postfach zu überprüfen. Doch ich wurde wieder enttäuscht und redete mir daraufhin auf dem gesamten Weg zur Arbeit ein, dass es dafür keinen Grund gab. Luca hatte gewiss noch andere Dinge zu tun, als nur vor seinem Computer zu sitzen und meine Mails zu beantworten. Trotzdem wurmte es mich; schon seit gestern Abend hatte er nichts mehr von sich hören lassen, was für seine Verhältnisse ein langer Zeitraum war. Und dass mich das überhaupt wurmte, ärgerte mich mindestens genauso. Ich benahm mich wie ein Teenager. Um genau zu sein, noch viel schlimmer! Deswegen schob ich das Thema mit aller Gewalt aus meinem Kopf, und erreichte schließlich das »Purple Haze«. Die kleine Cocktailkneipe befand sich am Rande der Innenstadt, war in einem Eckgebäude im Erdgeschoss untergebracht und inzwischen fast schon zu meinem zweiten Zuhause geworden. An den Decken hingen mehrere große Ventilatoren; die Stühle und Tische waren in einfachem und dunklem Holz gehalten. Die Theke, einer meiner Arbeitsbereiche, besaß die gleiche dunkle Nuance und verfügte über eine beachtliche Länge.
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