Kirschroter Sommer (German Edition)
aufheulen zu lassen. Was ich dafür natürlich erntete, war die Aufmerksamkeit der anderen Autofahrer, die jedes Mal ziemlich überrascht wirkten, eine Frau hinter dem Lenkrad zu entdecken. Ab und an flirtete ich sogar mit ihnen, obwohl ich im Nachhinein keine Ahnung hatte, welche Pferde da mit mir durchgegangen waren. Ich vermutete, dass es auf die dreihundert zurückzuführen war, die sich unter der Motorhaube befanden.
Was mit meinem Vergnügen am Fahren einherging, war die Freude, zu erleben, wie Elyas jedes Mal das Herz in die Hose rutschte, wenn ich die Reifen in den Kurven zum Quietschen brachte. So ungern ich es auch zugab, er war mir während dieser Autofahrt sympathischer als jemals zuvor. Er sprach kaum ein Wort und wirkte ängstlich und unsicher.
Wenngleich ich mir zu jeder Sekunde bewusst war, was er für ein Arsch war, fühlte ich mich trotzdem und aus mir unerfindlichen Gründen manchmal klein in seiner Gegenwart. Doch in diesem Augenblick war alles anders; er hatte seine perfekte, undurchlässige Maske abgelegt und – ich traute es mich kaum zu denken – wirkte beinahe menschlich.
Man musste ihm wohl hoch anrechnen, dass er keinen Rückzieher gemacht und mir den Mustang tatsächlich überlassen hatte. Er hielt sein Wort, egal, wie schwer es ihm fiel, und ich fragte mich, ob es andersherum genauso gewesen wäre. Normalerweise konnte man auf mein Wort zählen, aber ob ich ihn wirklich hätte küssen können ? Ich wagte es zu bezweifeln. Selbstverständlich hätte ich mich an die Abmachung gehalten und es zumindest versucht, aber wahrscheinlich hätte ich die Lippen aus Reflex so fest zusammen gepresst, dass es zwei Wochen gedauert hätte, bis sie wieder durchblutet gewesen wären.
Ich hätte ewig so weiterfahren können. Doch obwohl Elyas gegen Ende seinen Sitz sogar für drei Sekunden losgelassen hatte – zwar nur, um sich an der Nase zu kratzen, aber immerhin –, waren seine Nerven mehr als genug strapaziert worden. Er hatte seinen Wetteinsatz geleistet, und da wir somit quitt waren, wollte ich es nicht übertreiben. Schweren Herzens parkte ich den Mustang nach vierzigminütiger Spritztour vor der Uni und hörte Elyas augenblicklich erleichtert ausatmen.
»Himmel, das war unglaublich«, sagte ich und war immer noch wie berauscht.
»Das kannst du laut sagen«, nörgelte er, meinte das allerdings komplett anders als ich.
Ich hätte erwähnen können, dass die Fahrt sogar besser als Sex war, aber ich hielt es für klüger, das Wort »Sex« nicht in Elyas Gegenwart zu benutzen. Und so lehnte ich mich zurück und atmete tief ein. Wieder stieg mir dieser Geruch in die Nase, dieser ganz bestimmte Duft. Nichts daran erinnerte an ein Auto, und doch war genau das der Ort gewesen, an dem ich ihn zum ersten Mal wahrgenommen hatte. Es roch herb, süßlich, frisch … unterlegt mit anderen Nuancen, die ich nicht zu beschreiben vermochte. Der Geruch war so dezent, dass ich ihn den ganzen Tag in der Nase haben könnte, ohne dass er stören oder mir gar überdrüssig werden würde. Auch war der Geruch nicht alltäglich, nein, ganz und gar nicht, und trotzdem erschien er mir so vertraut, so friedlich … Und erinnerte mich an ein Gefühl, das ich nicht deuten konnte.
Die Quelle des Ursprungs lag jedoch nicht im Wagen, das wusste ich inzwischen. Der Geruch kam direkt von Elyas. Und wäre es mir nicht zu blöd gewesen, hätte ich ihn schon längst gefragt, um welches Parfum oder Aftershave es sich dabei handelte. Mein zukünftiger Freund hätte es ohne Umwege zu seinem nächsten Geburtstag bekommen – ob er gewollt hätte oder nicht.
Moment – was dachte ich denn da? Wahrscheinlich gab es das Parfüm bis dahin schon längst nicht mehr …
Mehr und mehr ebbte mein Adrenalinrausch ab, und sanfte Wogen der Entspannung durchfluteten meine Glieder. Auch Elyas schien sich allmählich wieder zu erholen.
»Weißt du, was ein guter Gewinner jetzt tun würde?«, schmunzelte er in die Stille.
»Lass mich raten«, seufzte ich, »dich küssen?«
Ich bekam ein breites Grinsen zur Antwort. Ja, ganz eindeutig war er wieder der Alte.
»Zu dumm«, sagte ich. »Leider bin ich ein schlechter Gewinner. Außerdem habe ich die starke Befürchtung, dass du einen Kuss in deinem angeschlagenen Zustand nicht überleben würdest.«
»Seit wann kümmert dich mein Ableben?«
»Da ich unter diesen Umständen deine Leiche am Hals hätte, interessiert es mich ausnahmsweise schon.«
Er verdrehte die Augen. »Ich spüre wieder diese
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