Kirschroter Sommer (German Edition)
ungeheuer schwer fiel, eine Entscheidung zu treffen, versuchte ich taktisch an die Sache heranzugehen. Mein Vorteil war, dass sich Elyas mit Sicherheit – wie bei vielen anderen Dingen auch – maßlos überschätzte. Wenn er ein guter Spieler war, dann würde er sich gewiss für einen sehr guten halten. Sein Nachteil hingegen lag darin, dass er keine Ahnung von meinen Spielerqualitäten hatte und mich vermutlich eher unter- als überschätzte.
Elyas durchschritt dem Anschein nach einen ähnlichen Denkprozess und als ihn auf einmal ein Lächeln übers Gesicht huschte, stand seine Antwort fest. »Wie sieht’s aus, Emely Schatz, traust du dich?«
Ich hatte wirklich nicht vorgehabt, mich provozieren zu lassen, doch sein fieses Grinsen ließ mir keine andere Wahl, als bei ihm einzuschlagen.
»Mach dich auf den Kuss deines Lebens gefasst«, lächelte er und drückte meine Hand.
»Wir werden sehen«, antwortete ich und erwiderte den Druck. Die Frage, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte, behielt ich für mich.
KAPITEL 8
Verloren!
Oh mein Gott!
Ich zitterte am ganzen Körper.
Sicher, eigentlich gab es keinen Grund Angst zu haben, trotzdem bahnte sich unaufhaltsam ein eiskalter Schauer den Weg über meinen Rücken.
Gleich würde es passieren.
Und ja, ich wollte es.
Elyas schloss die Augen. Er schien genauso viel Angst zu haben wie ich.
Ganz langsam tastete ich mich voran. Zentimeter für Zentimeter kam ich ihm näher.
Und umso näher ich kam, desto schneller wurde meine Atmung.
Ich hörte Elyas Seufzen, doch ich blendete ihn aus und so verstummte seine Stimme im Hintergrund. Diesen Moment wollte ich nur für mich allein genießen. Er gehörte mir.
Noch ein letzter, tiefer Atemzug, dann war es soweit.
Du schaffst das , Emely , sprach ich mir zu.
Mit einem kratzenden Geräusch steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn herum. Als der laute Motor ertönte, durchfuhr das Vibrieren meinen gesamten Körper und machte mich vor Freude fast wahnsinnig.
»Oh my fucking God!«, quietschte ich. Mit geschlossenen Lidern legte ich den Kopf in den Nacken. Ich hatte gewonnen! Ich, Emely Winter, hatte verdammt noch mal beim Billard spielen gegen Elyas Schwarz gewonnen! Selbst jetzt, als ich leibhaftig auf dem Fahrersitz meines geliebten Mustangs saß und den laufenden Motor unter mir spürte, konnte ich es nicht glauben.
»Ich habe tatsächlich gewonnen!«, platzte es aus mir heraus, was Elyas, der seine Niederlage nicht gerade heldenhaft hinnahm, langsam tierisch nervte.
»Ja, ich weiß, ich war dabei. Es ist absolut nicht notwendig, das alle dreißig Sekunden zu erwähnen.«
Ich lächelte. Er schaffte es nicht mal im Ansatz, meine Hochstimmung zu trüben. Wie sollte er auch? Ich würde im nächsten Moment mit diesem Wahnsinns-Auto fahren und musste Elyas nicht küssen! Das war definitiv einer meiner besten Tage seit langem, und das konnte selbst er nicht mehr kaputt machen.
Während des gesamten Spiels hatte ich panische Angst gehabt und es zutiefst bereut, mich auf diese waghalsige Aktion eingelassen zu haben. Denn Elyas hatte – überraschenderweise oder nicht – verdammt gut gespielt. So hatte sich das Ganze immer mehr zu einem nervenaufreibenden und spannungsgeladenen Geduldsspiel für beide Seiten entwickelt.
Gen Ende war es darauf hinausgelaufen, dass jeder von uns nur noch eine einzige normalfarbige Kugel auf dem Tisch liegen hatte. Der Druck war also groß, als ich mit meinem Queue darauf zielte. Und wie nicht anders zu erwarten, verließ mich mit einem Mal mein Glück: Die Kugel verfehlte knapp den Korb.
Weil die Voraussetzungen für Elyas’ letzte Stöße mehr als günstig waren, stellte ich mich gedanklich schon auf meinen Untergang ein. Nur noch seine letzte farbige und die schwarze Kugel trennten mich von einem Kuss mit ihm. Mich konnte eigentlich nur noch ein Wunder retten.
Ein Wunder, das tatsächlich eintrat.
Aus einem unerklärlichen Grund wurde Elyas auf einmal leicht nervös und wirkte überhaupt nicht mehr so souverän wie zuvor. Natürlich hatte ich gemerkt, dass er unter seiner Fassade längst nicht so lässig gewesen war, wie er getan hatte, dennoch war es ihm bis dahin gelungen, ein gewisses Level aufrechtzuerhalten. Doch von alledem war bei seinem letzten Stoß rein gar nichts mehr zu spüren.
In Zeitlupe verfolgte ich, wie Elyas die weiße Kugel anstieß, wie sie anschließend über den Tisch rollte und ganz knapp die rote verfehlte, die er eigentlich treffen
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