Kiss and kill: Thriller (German Edition)
Minuten. Gerade lange genug, um sich ihre Umgebung anzusehen und sich zu versichern, dass er ihr nicht gleich gefolgt war.
Bis er sie eingeholt hatte, war sie erschöpft, durstig und noch schmutziger als vor der Jagd.
Er war mit einem röhrenden Geländemotorrad auf die Lichtung gedonnert gekommen. Sie hatte ihr Bestes getan, um ihm auszuweichen, doch er hatte sein Motorrad geparkt, war abgestiegen, hatte das Gewehr genommen, das an seiner Schulter hing, und auf ihre Füße gefeuert. Sie blieb sofort stehen.
»Für heute ist die Jagd vorbei«, hatte er ihr zugerufen.
»Du hast es sehr gut gemacht, Nicole. Du hast es geschafft, nicht gefangen zu werden.«
Atemlos und unsagbar wütend hatte sie sich zu ihm umgedreht.
Er lachte ihr ins Gesicht.
»Du fragst dich, warum ich das sage, nicht wahr? Sieh dir deine Handschellen mal genau an. Da drin ist ein Peilsender. Du warst mir wirklich entkommen.«
Folglich hatte der Mistkerl sie eine Weile ohne Hilfe des Peilsenders gejagt, ihn dann aber aktiviert, als er der Jagd überdrüssig wurde, und war dann einfach dem Signal gefolgt. An diesem Abend nahm er sie nicht mit zurück ins Haus, sondern fesselte sie mit den Fußschellen und einer Kette an einen Baum. Dann verschwand er. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam er wieder und brachte sie in den Keller, nachdem er ihr Brot und Wasser gegeben hatte.
Als er sie heute Morgen freiließ, hatte er ihr gesagt: »Du bist den ganzen Morgen frei. Ich fange erst in einer Stunde an, dich zu jagen.«
Der Sonnenstand verriet ihr, dass es noch nicht ganz Mittag war. Er würde sie bald finden. Sie hatte die Stunden draußen so gut genutzt, wie sie konnte: die frische Luft, die wärmende Sonne. Und sie hatte sich die Umgebung genauer angesehen. Dabei kam sie zu dem Schluss, dass sie sich irgendwo im äußersten Süden der Südstaaten be-finden musste – im Süden von Mississippi, Georgia, Alabama oder Louisiana. Die massigen alten Eichen waren von Louisianamoos verhangen.
Der Boden war dunkel und feucht. Wenn sie erst hungrig genug war, würde sie in der reichhaltigen schwarzen Erde nach fetten Würmern graben.
Außerdem war sie auf ein großes Sumpfgebiet gestoßen, in dem grünes Wasser stand. Heute hatte sie nichts von dem schmutzigen Wasser getrunken, nur ihre Füße, Beine und Arme darin gewaschen. Aber wenn sie erst durstig genug war und kein anderes Wasser fand, würde sie es bestimmt trinken.
Sie hatte versucht, sich alles über das Haus einzuprägen, was sie gesehen hatte. Ein verfallendes Vorkriegsherrenhaus mit dicken Säulen, die einen Balkon stützten, welcher sich über drei Seiten des oberen Stockwerks erstreckte.
Bisher hatte sie ihn bei jeder Jagd zufriedenstellen können, wodurch ihr sein Zorn erspart blieb und sie noch nicht erfahren musste, wie seine Strafe aussah, falls ihm ihre Leistung nicht gefiel. Aber sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, dann würde er auf sie losgehen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie in einem trügerischen Gefühl der Sicherheit wiegte, ehe die Hölle losbrach.
Vor allem aber war Nicole fest entschlossen, die Zeit genau im Kopf zu behalten – ihre Tage in Gefangenschaft. Drei Tage waren verstrichen. Blieben noch neunzehn.
Die Chance, dass das FBI oder Griff sie bis dahin fanden, war gleich null. Ihre einzige Hoffnung war, dass sie irgendwie fliehen könnte.
Doug Trotter hatte die Leitung der Sondereinheit übernommen. Täglich telefonierte er mit Griff, allerdings nicht, um ihm zu erzählen, welche Erkenntnisse das FBI gewonnen hatte, sondern um zu fragen, ob dessen Agentur etwas rausgefunden hatte. Nic wurde seit fünf Tagen vermisst. Seit fünf quälend langen Tagen. Griff schlief kaum, nickte höchstens zwischendurch kurz ein, wenn er so erschöpft war, dass er sich nicht mehr wach halten konnte. Doch im Schlaf konnte er den entsetzlichen Bildern erst recht nicht entfliehen, Bildern von Nic, die gejagt, gefoltert und am Ende vom Jäger getötet wurde.
Gestern war er kurz davor gewesen, einen furchtbaren Fehler zu begehen. Da hatte er sich entschlossen, eine Million Dollar Belohnung auf Hinweise, die sie zu Nic führten, auszuschreiben. Doug Trotter hatte ihm dringend davon abgeraten, aber Sanders war derjenige gewesen, der ihn letztlich zur Vernunft brachte. Im ganzen Land hätten sich die Bekloppten berufen gefühlt, ihnen irgendwelchen Unsinn zu erzählen, um an das Geld zu kommen.
Ohne Sanders und Yvette hätte Griff schon längst den Verstand verloren.
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