Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
was er sich geleistet hatte. Ich drehte mich demonstrativ vom Fenster weg und ging zurück ins Wohnzimmer. Dort setzte ich mich in den alten Ledersessel vor den Kamin und starrte in die Flammen. Zwischendurch stocherte ich mit dem Schürhaken in der Glut und legte neue Holzscheite nach. Das Knacken der Scheite hatte etwas zutiefst Entspannendes an sich und bald schlummerte ich ein.
Erst mitten in der Nacht erwachte ich. Die Glut war längst aus und ich total verspannt. Ich streckte mich und stand auf, um ins Bett zu gehen. An das weiße Stückchen Stoff dachte ich nicht mehr.
***
Der Traum begann ganz harmlos. Er war anfangs sogar schön. Ich lief wieder mit Kjell durch den Wald. Er hatte mein Hand ergriffen und führte mich durch das Dickicht. Wir hatten den Weg zur Lichtung eingeschlagen, aber diesmal wirkte der Wald bedrohlich. Seltsame Laute drangen an meine Ohren. Laute, die wie Stöhnen und Ächzen klangen. Nebelschwaden hingen zwischen den Bäumen, und schienen uns immer weiter einzukreisen. Ich fühlte mich wieder wie ein kleines Mädchen und fürchtete mich. ›Kjell, bitte lass uns umkehren!‹
Der Nebel wurde immer dichter. Bald konnte ich kaum noch Kjells Rücken erkennen. Immer tiefer liefen wir in den Wald hinein.
›Kjell!‹, rief ich verzweifelt. Doch er antwortete mir nicht. Sein Griff um meine Hand wurde fester und er zog mich immer schneller weiter. Ich fing an mich zu wehren und versuchte meine Hand aus seinem Griff zu befreien. Dabei schaute ich hinab. Es war nicht mehr Kjells Hand, die meine hielt, sondern eine uralte Hand mit langen krallenartigen Fingernägeln. Erschrocken sah ich hoch und starrte mit in das zerfurchte Gesicht von Britta Janson. Ihre Haare standen zerzaust von ihrem Kopf ab und in ihren Augen lag ein irrer Ausdruck. ›Du kommst mit mir, meine Schöne! Hier sind wir ganz allein! Niemand kann dich hören, wenn du schreist! Niemand kann dich retten! Ich bringe dich zu meinem Freund, dem Mörder. Ich bringe alle Mädchen zu ihm. Auch meine Schwester, die dumme Gans. Keiner kann sie finden.‹ Sie kicherte.
Plötzlich änderte sich die Umgebung. Ich stand an einem winzigen Naturstrand zwischen umgestürzten Baumstämmen. Vor mir auf dem schwarzen See trieb das weiße Ruderboot. Darin saßen Ben und ich selbst – als kleines Mädchen. Dann sah ich, wie Ben sein T-Shirt auszog, ins Wasser sprang und untertauchte. Im Traum schloss ich die Augen, denn ich wusste, Ben würde nie mehr auftauchen. Als ich eine bekannte Stimme hörte, öffnete ich die Augen wieder. Britta tanzte durch den Wald und rief mir zu: ›Pass auf! Bist du nicht verliebt, wirst du es bald sein. Akta dig! Akta dig!‹
***
Ich wachte in einem völlig zerwühlten Bett auf. Benommen von diesem wirren Traum, lief ich die Treppe hinunter. Ich fühlte mich völlig zerschlagen und duschte ausgiebig. Beim Zähneputzen erinnerte ich mich wieder an das Stückchen Stoff. Jetzt siegte meine Neugier. Schneller als nötig zog ich mich an und lief zum Wohnzimmerfenster. Der Regen hatte aufgehört, aber es hingen noch graue Wolken am Himmel. Ich sah hinüber zum Boot, konnte aber kein weißes Stoffstück mehr sehen. Eilig lief ich in den Flur und zog mir die Gummistiefel über. Dann lief ich zum Bootshaus. Dort nahm ich mir einen Lappen und einen Eimer und ging über den Rasen zum Anleger. Der Boden war vom Regen stark aufgeweicht und machte unter meinen Füßen bei jedem Schritt schmatzende Geräusche.
Beim Boot angekommen schaute ich mich gründlich um. Weder im Boot noch an Land konnte ich ein weißes Stück Stoff finden. Ob es sich wohl durch den Regen gelöst hatte und ins Wasser gefallen war? Eingebildet hatte ich es mir jedenfalls nicht, dessen war ich mir sicher. Ich drückte das Boot etwas vom Anleger fort. Es schaukelte leicht. Aber auch im Wasser zwischen Boot und Ufer schwamm nichts Weißes. Ich blickte über das Wasser und entdeckte etwas zwischen den Seerosen. Mein Herz machte einen Hüpfer, dann erkannte ich, dass es sich lediglich um eine Seerosenblüte handelte, die noch schwer vom Regen halb unter Wasser gedrückt zwischen den grünen Blättern hervorlugte. Na toll! Ich seufzte innerlich. Jetzt würde ich wohl nie erfahren, ob es tatsächlich eine Nachricht von Kjell gewesen war und was er geschrieben hatte. Wütend auf mich selbst, begann ich das Wasser aus dem Boot zu schippen.
Nachdem ich das Ruderboot soweit wie möglich trocken gelegt und das Laub entfernt hatte, das von den Bäumen ins Boot
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