Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
Unebenheit. Ich betrachtete den Hornanhänger im Licht. Da waren tiefe Kratzer auf der Oberseite. Das musste eine optische Täuschung sein. Ich lief eilig in die Küche und schaltete die helle Deckenbeleuchtung ein. Mit einem Kartoffelschälmesser entfernte ich vorsichtig die Klebereste und hielt den Anhänger ins Licht. Ich glaubte, das mir jeden Augenblick die Beine weg sacken mussten. Da stand ganz klar und deutlich in ungelenken, krakeligen Buchstaben B E N.
Ich zweifelte langsam an meinem Verstand. Wieder und wieder betrachtete ich den Anhänger und immer wieder sah ich die Buchstaben klar und deutlich vor mir. Es war nicht so ein Anhänger wie Ben ihn getragen hatte. Es war Bens Anhänger. Der Anhänger, der mit meinem Bruder zusammen in der schwarzen Tiefe des moorigen Waldsees untergegangen war! Wie war Kjell zu dem Anhänger gekommen? Ich fing an zu zittern. Ich nahm ein Glas aus dem Schrank und goss mir eine ordentliche Portion Rotwein ein. Hastig nahm ich einen Schluck, um meine Nerven zu beruhigen.
›Weg hier, nur weg aus diesem Albtraum!‹, waren meine Gedanken.
Ich griff mir den Einkaufszettel und meine Geldbörse. Ich würde jetzt meinen letzten Einkauf beim ICA-Markt tätigen, Rune anrufen und dann meine Taschen ins Auto laden. Das Haus war soweit fertig geputzt. Ich wollte noch heute losfahren.
12. Kapitel
Manche Legenden können lebendig werden
Ich rauschte im ICA-Markt durch die Gänge und warf hastig alles in den Einkaufswagen, was ich brauchte. Weiches schwedisches Brot und Käse für meine Reiseverpflegung, sowie einige Getränkedosen fanden so ihren Weg in meinen Einkaufswagen. Nachdem ich die Kasse passiert hatte, steuerte ich den Wagen an die Seite, um in Ruhe einzupacken. Dabei fiel mein Blick auf eine Pinnwand mit lauter bunten Zetteln, in denen Kunden etwas zum Verkauf anboten oder bestimmte Dinge suchten. Da suchte jemand ein gut erhaltenes Campingzelt, es wurde ein Kinderbett angeboten und Katzenbabys wurden für 500 Kronen Schutzgebühr an liebevolle Halter abgegeben. Dazwischen hing eine DIN-A4 große Suchmeldung. Lilja lächelte mir von einem Schwarz-Weiß-Foto entgegen. Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich ließ die Käsepackung sinken, die ich in der Hand hielt. Ich nahm die Suchmeldung von der Pinnwand und betrachtete sie. ›Oh, Lilja, was ist nur mit dir passiert?‹ Ich wollte das Blatt gerade wieder zurückhängen, da erblickte ich eine weitere Meldung. Ein anderes Mädchen schaute mir keck entgegen. Sie hatte Sommersprossen und rotblonde Haare. Darüber stand:
Vermisst! Wir suchen unser Tochter Ida Pettersson. Wer hat sie gesehen? Hinweise bitte an unten stehende Rufnummer. Belohnung!
Pettersson, es war zwar ein durchaus gewöhnlicher schwedischer Nachname, aber mir war so, als hätte ich ihn schon mal gehört. Ich musste an das Gespräch der beiden Frauen an meinem Ankunftstag in Vaggeryd denken. Doch ich konnte mich nicht mehr mit Sicherheit erinnern. Während ich überlegte, fing ich, einer inneren Eingebung nach an, die vielen Zettel zu durchsuchen. Anscheinend wurde die Pinnwand nicht regelmäßig aussortiert. Viele Suchanzeigen und Angebote waren schon älter. Die Zettel hingen wie Kalenderblätter übereinander. Ich entfernte die oberen und kümmerte mich nicht um die Kassiererin, die mich kritisch beäugte. Was ich fand, ließ mir den Atem stocken. Immer wieder tauchten in regelmäßigen Abständen Vermisstenmeldungen auf. Es handelte sich dabei ausschließlich um junge Frauen und Mädchen. Sechs Meldungen konnte ich auf dieser Pinnwand finden und vielleicht waren das nicht einmal alle.
»Sie sind alle verschwunden. Alle, und keine ist jemals wieder aufgetaucht«, die leise krächzende Stimme hinter mir ließ mich herumfahren. Britta Janson stand dort und schaute mit trüben Augen auf die Pinnwand.
»Aber du bist noch da. Das ist verwunderlich. Solltest du …, nej …«, sie schüttelte den Kopf.
»Meine Freundin ist verschwunden«, sagte ich und hielt ihr das Blatt mit Liljas Bild entgegen. »Kennen Sie sie? Wissen Sie vielleicht etwas?«
Die alte Frau lächelte traurig und schüttelte den Kopf. »Akta dig. Du solltest von hier fortgehen, bevor du doch noch verschwindest.«
Dann wollte sie sich zum Gehen wenden. Ich griff nach ihrem Arm, um sie aufzuhalten. »Nein, bitte, Frau Janson, warten Sie. Sie müssen mir helfen. Sie wissen doch etwas, oder nicht? Sagen Sie mir, was Sie von den verschwundenen Mädchen wissen!«
Britta Janson blieb
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