Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
erst, sie
wäre bereits nach Hause gefahren, aber vermutlich hat mein
Cousin sie mit in den See genommen. Immerhin war noch Vollmond.«
Britta Janson hatte
recht. Es gab in dieser Gegend tödliche Raubtiere. Mir kamen
fast wieder die Tränen bei dem Gedanken an Lilja und an all die
unschuldigen Mädchen, die geglaubt hatten, ihre große
Liebe gefunden zu haben. Doch gefunden hatten sie nur den Tod.
Dann fiel mir noch
etwas ein. »Du sagtest doch, ihr holt euch die Seelen der
jungen Frauen. Warum dann meinen Bruder Ben?« Ich hatte nicht
mehr den geringsten Zweifel daran, dass die Wassergeister auch für
seinen Tod verantwortlich waren.
Kjell sah mich jetzt
traurig an. Dann seufzte er. Schweigend und erwartungsvoll blickte
ich in sein Gesicht.
»Wie gesagt,
brauchen wir die liebenden Seelen, die uns die Frauen freiwillig
schenken, um zu existieren. Aber wenn jemand uns zu nahekommt, dann
muss er ebenfalls sterben. Wir Wassergeister sind sehr alt. Viel
älter als du es dir vielleicht vorstellen kannst. Einige von uns
sind wirklich böse, ihre Seelen sind mittlerweile so kalt, dass
eine Mädchenseele sie nur kurz erwärmt. Für sie ist es
lediglich ein Verführungsspiel mit dem Opfer. Aber sie töten
auch zum Spaß und erst recht, wenn sie sich bedroht fühlen.«
»Aber Ben war
doch noch ein Kind. Wie konnte er euch bedrohen?«
»Ihr seid in
unser Reich eingedrungen. Ihr kamt uns zu nah«, versuchte Kjell
es mir zu erklären.
»Euer Reich –
der schwarze See!« Ich schüttelte mich bei der Erkenntnis.
Der Geruch von Moder
und Tod. Ich glaubte ihn noch immer zu riechen, wenn ich an diesen
dunklen Waldsee dachte.
»Ganz richtig.
Die großen Alten lassen nicht zu, dass Menschen uns so nah
kommen. Kinder sind viel sensibler und aufmerksamer, nur so konntet
ihr den versteckten See finden. Du zum Beispiel hast unsere Existenz
damals schon gespürt, nicht wahr Sofie?«
Ich konnte mich
lebhaft an das Gefühl von damals erinnern. Die Bedrohung in der
Luft war greifbar gewesen. Doch Ben hatte sie nicht gespürt.
»Musste Ben
sterben, weil er in dem See getaucht ist? Hättet ihr uns sonst
ziehen lassen?«, fragte ich mit der Naivität einer
Neunjährigen.
Kjell schüttelte
den Kopf. »Eigentlich wollten sie dich auch holen. Aber ich
habe deine Augen gesehen, als meine Familie deinen Bruder unter
Wasser gezogen hat. In deinen Blick lag etwas Besonders. Ich kann es
nicht erklären, aber ich wollte dich schon damals unbedingt
retten. Ich habe meiner Familie gesagt, dass dir eh niemand glauben
würde, wenn wir dich gehen ließen. Die anderen Menschen
können den geheimen See nämlich nicht finden. Es dauerte
eine Zeitlang bis ich sie überzeugt hatte, aber dann zog ich
dein Boot wieder auf den Sandsjön hinaus.«
»Du
warst damals dabei? Du hast mich gerettet?« Meine Stimme war
leise.
»Ja«,
sagte er nur.
Jetzt stand es mir
wieder vor den Augen. Die Träume, die Erinnerungen an die Hände,
die Ben hinabgezogen hatten, waren nicht Ausdruck eines schlechten
Gewissens, weil ich meinen Bruder nicht hatte retten können. Sie
waren real gewesen.
»Warum hast du
nicht auch Ben gerettet? Warum hast du meinen Bruder nicht gerettet?«
Ich fühlte mich wieder wie ein kleines hilfloses Mädchen.
»Ich hatte
keine Chance gegen meine Familie. Ich konnte nicht gegen sie kämpfen!
Kein Wassergeist darf gegen seine eigene Familie kämpfen. Aber
dich konnte ich wenigstens retten. Ich hätte nie gedacht, dass
du nach Schweden zurückkommen würdest.«
»Hast du mich
denn erkannt, als ich wieder hier war?«, wollte ich wissen.
»Bei unserem
ersten Zusammentreffen war ich mir nicht sicher. Du warst nur
irgendein Mädchen für mich, aber kurze Zeit später
wurde es mir klar: Ich habe deine Seele gespürt.«
»Und trotzdem
wolltest du mich in der Vollmondnacht töten!«, stellte ich
fest.
»Meine Familie
hat deine Präsenz bei unserem versteckten See gefühlt. Sie
verlangten deinen Tod, weil du zurückgekehrt bist und uns wieder
zu nahe kamst. Ich konnte sie davon überzeugen, dass es eine
Verschwendung wäre, dich einfach zu töten, und, dass es
sinnvoller wäre, wenn ich deine Seele holte. Zumal ich schon mit
dir Kontakt geknüpft hatte und wieder eine Seele brauchte.
Außerdem wollte ich unbedingt wissen, wie du schmeckst.«
Ich starrte ihn
fassungslos an und konnte mir nicht erklären, warum ich nach all
diesen ungeheuerlichen Bekenntnissen in meinem Inneren immer noch so
starke Gefühle für Kjell hatte. Ich befand mich auf
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