Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
an. »Ich weiß immer noch nicht genau, ob Sie beide wirklich hingebungsvoll oder einfach nur arrogant sind.« Sie seufzte leise. »Die Leute werden alles über diese Sache herausfinden, wissen Sie.«
»Das ist uns nur recht«, erklärte Shanvordesep.
»Noch viel mehr Leute werden sich amüsieren, zum Großteil auch über mich. Natürlich werden sie mir das nicht ins Gesicht sagen. Aber sie werden mich auslachen.«
»Irgendwann werden sie Sie preisen«, versicherte Pyreau ihr mit so viel Gefühl, wie er aufbringen konnte.
»Oh, bestimmt«, murmelte sie sardonisch. »Welchen Namen haben Sie sich eigentlich für Ihre Konfession ausgesucht?«
Wenigstens das haben Shanvordesep und ich schon im Vorfeld geklärt, dachte Pyreau erleichtert. »Keinen komplizierten. Er ist nicht anmaßend oder einschüchternd. Wir wollen unsere Kirche die Vereinigte Kirche nennen.«
»Wie originell. Und Sie?« Sie beäugte ihn interessiert. »Werden Sie Priester bleiben, Reverend Pyreau?«
»Ich denke schon, obwohl wir das noch ausarbeiten müssen.«
»Und Ihr vielbeiniger, goldäugiger Freund?«
Pyreau wandte sich dem Thranx zu, und dieses Mal lächelte nicht Lorengau, sondern er. »Bei unserer ersten Begegnung hat Shanvordesep sich in einem schweren Moment einmal als ›letzte Zuflucht‹ bezeichnet, als Zuflucht für seine … nun, ›Herde‹ ist zwar nicht ganz treffend, soll uns aber genügen. Und genau das wird er auch sein, sobald wir beginnen: die letzte Zuflucht.«
5
Wie schon vor tausenden von Jahren stiegen aus dem Mount Agung kleine Wolken auf. Die Thranx, die den Strand entiang schlenderten, schauten kaum in seine Richtung. Sie hatten nie hinterfragt, warum die Menschen eine der beiden ursprünglichen Begrüßungs- und Abfertigungsstätten für außerirdische Besucher ausgerechnet inmitten einer Inselgruppe angesiedelt hatten, die für ihre außergewöhnlich hohe vulkanische Aktivität bekannt war. Vermutlich hatten sich ihre Gastgeber diese Frage bereits selbst gestellt, denn schon mehr als einmal hatten sie angedeutet, dass sie die gesamte, weitläufige Einrichtung eventuell auf die große Landmasse im Süden verlegen wollten.
Drei Thranx waren anwesend: Nilwengerex, ein Spezialist für menschliche Kultur, Joshumabad, ein Abgesandter des Großen Rats, erst kürzlich von Hivehom angereist, und Yeicurpilal, die von allen Thranx auf der Erde den zweithöchsten Rang innehatte. In Begleitung der beiden jüngeren Thranx spazierte sie am Ufer entlang, wobei sie sich stets bedachtsam vom Wasser fernhielt. Das küstennahe Riff schützte zwar vor potenziell tödlichen Wellen, doch erschien dieser Schutz keinem Thranx ausreichend genug, um ihn zu beruhigen.
Das Thema, das Joshumabad angeschnitten hatte, hielt ihn und seine Begleiter davon ab, ihren Morgenspaziergang unter der warmen äquatorialen Sonne zu genießen, dennoch wollte er das Thema nicht fallen lassen - und vermutlich konnteer es auch gar nicht. Die Sorge, die er fortwährend äußerte, war auch der Grund für seinen Besuch auf der Erde.
»Die Mitglieder des Großen Rats fühlen sich, als stünden sie am Ende eines verschütteten Stollens und sähen von der offenen Seite hungrige Memnütoct auf sich zukommen. Sie wissen nicht, wohin sie rennen oder wo sie sich eingraben sollen, bis die Gefahr vorüber ist.«
Yeicurpilals sechs unbeschuhte Füße hinterließen viele Abdrücke im leicht feuchten Sand. Eine warme, tropische Brise säuselte durch ihre Legeröhren. Obwohl sie das Alter schon überschritten hatte, in dem eine Thranx fruchtbar war und Eier legen konnte, hatte sie noch immer eine aufrechte Haltung und robuste Glieder. Hier fiel das Licht der noch immer im Osten den Horizont hochkletternden Sonne in günstigem Winkel auf den Strand und betonte den zarten Lavendelton, den Yeicurpilals Ektoskelett aufgrund ihres Alters angenommen hatte, und ihre Komplexaugen funkelten vor Intelligenz.
»Warum regen sie sich so auf?« Yeicurpilal deutete mit einer Echthand zur Insel Bali, die auf der anderen Seite des tiefen Wassers namens Selat Lombok lag. »Unsere Beziehungen zu den Menschen sind gut. Bei vielen Fragen, die unseren beiden Spezies wichtig sind, gehen die Verhandlungen voran, angefangen von Handels- und Wirtschaftsfragen bis hin zum künstlerischen Austausch. In meinen Augen kommen wir nicht so schnell überein, wie manch einer es gern hätte, aber zumindest treten die Diplomaten auch nicht auf der Stelle.«
Joshumabad, erst kürzlich auf der Erde
Weitere Kostenlose Bücher