Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
Spezies.«
»Das wäre ein möglicher Beweggrund«, erwiderte Reldmuurtinjak, doch hielt er es für recht unwahrscheinlich, dass das Szenario, das der Mensch soeben beschrieben hatte, tatsächlich so stattgefunden hatte.
»Ein Beweggrund ja, aber sie hätten wohl kaum die nötigen Mittel, so etwas auszuführen.« Lee nahm eine andere Sitzhaltung auf dem harten Boden ein. »Die Xenophoben sind zwar mächtig und haben viele heimliche Anhänger, aber sie könnten vermutlich nie die nötige paramilitärische Schlagkraft aufbringen, um einen derart verheerenden Angriff auf eine andere Welt zu führen. Und erst recht nicht könnten sie so erfolgreich sämtliche Spuren beseitigen. Was im Amazonas-Stock geschehen ist, war eine Sache. Die Bevölkerung einer ganzen Kolonie auszulöschen ist aber etwas völlig anderes. Aber falls tatsächlich die Xenophoben dahinter stecken, würde das wenigstens eine Frage beantworten.«
»Welche?« Reldmuurtinjak vollzog die Thranx-Geste für fortwährende Verwirrung. »Es gibt so viele.«
Lee wusste zu wenig über die Thranx, um den feinen Humor in Reldmuurtinjaks Antwort zu erkennen. »Wie die Invasoren es geschafft haben, die Siedler dermaßen zu überraschen. Selbst schwer bewaffnete Bataillone von eintreffenden Menschen hätten keinen Verdacht erregt. Nicht, bis es zu spät gewesen wäre. Sie hätten sich in der Kolonie verteilen und dann, auf ein verabredetes Signal hin, an verschiedenen Punkten zugleich angreifen können. Danach hätten sie alle Beweise, die auf sie hindeuteten, eingesammelt und vernichtet.« Sein Tonfall klang völlig monoton. »Wie ich schon sagte, wenn man keinen Schuldigen hat, istjeder verdächtig. Sogar wir selbst.«
»Es freut mich, dass Ihre Spezies nicht nur uns verdächtigt.« Der Thranx hatte einen ausgeprägten Sinn für Sarkasmus. »Ihr Volk sollte sich lieber auf die AAnn konzentrieren und sie danach fragen, warum sie sich nicht an der Aufklärung beteiligen. Und Sie sollten den Himmel über Ihren anderen Kolonien gut beobachten.«
»Alle sind in Alarmbereitschaft, von New Riviera bis Cachalot«, versicherte Lee dem insektengleichen Wesen. »Jedes eintreffende Schiff wird unter Quarantäne gestellt und muss sich einer Überprüfung unterziehen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Die Prozedur ist höchst unangenehm, doch die meisten sehen die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme ein.«
»Eine unangenehme Prozedur ist besser als Völkermord.«
Reldmuurtinjak untersuchte ein langes, zerrissenes Stück von dem vertrauten weißen Schreibmaterial der Menschen und ordnete es dann geduldig einem der drei Stapel neben sich zu, die allmählich immer größer wurden. »Was haben Sie von der Koordinationszentrale gehört? Gibt es Neuigkeiten?«
Lee lehnte sich gegen die Masse aus geschmolzenem Kunststoff, die einst ein abschließbarer Lagerschrank gewesen war, und seufzte resignierend. Alle waren müde von den ergebnislosen Untersuchungen. Bei der Ankunft in der Umlaufbahn um Treetrunk waren alle voller Energie und Tatendrang gewesen. Jeder Mann und jede Frau in Lees Besatzung hatte sich eingebildet, der- oder diejenige zu sein, der oder die den entscheidenden Hinweis finden würde, den Schlüssel, der das Geheimnis des Massakers lüften würde. Doch während ein Tag dem anderen folgte, Tage zu Wochen und Monaten wurden, verwandelte sich ihr Eifer zunächst in Unsicherheit, dann in Resignation und letztlich in eine Art von professioneller Langeweile. Niemand erwartete mehr, dass das nächste Gebäude, die nächste Kiste, die nächste Datei etwas anderes enthielte als Informationen über den Alltag in der Kolonie bis zum Tag der Katastrophe. Lee fragte sich, ob die Thranx eine vergleichbare emotionale Talfahrt durchmachten. Fallsja, ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken - zumindest nicht in einer Weise, die ein interessierter Mensch hätte deuten können.
»Nein«, erwiderte er. »Nichts. Ich habe gehört, dass ein Quillp-Team östlich von Chagos Downs geglaubt hat, das Wrack eines abgestürzten, nichtmenschlichen Shuttles gefunden zu haben. Aber wie sich herausstellte, war der Shuttle auf einen Privatmann registriert. Ein Suborbitalflieger. Hundertprozentig von Menschen entworfen und gebaut.« Lee wusste, welche Frage dem Thranx durch den Kopf ging, und fügte hinzu: »Weder am Schiff selbst noch in seiner Nähe wurden Hinweise auf Waffen oder dergleichen gefunden, also muss es einem Einheimischen gehört haben.«
Reldmuurtinjak
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