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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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alles müsse in korrekter Reihenfolge geschehen. »König Felipe, mein Gatte, hat Euch ja schon begrüßt?« Dies sagte sie beiläufig, ganz so, wie man etwas Schlimmes unauffällig an den Mann zu bringen versucht.
    Escarlati bejahte und ließ sich nichts anmerken, doch wusste sie, dass er wusste, dass sie wusste, wie kläglich ihm ihr Mann tags zuvor entgegengewankt war … Diese Frau also stöhnt und krächzt beim Vögeln wie eine alternde Primadonna? – Unfassbar erschien es ihm, dass er ihre Stimme sozusagen nackt gehört hatte, die Stimme von Spaniens Königin! – Und dann noch just in dem Moment, als sich das wertvollste Sperma der Nation in sie ergoss. Nun, was diesen Wert betrifft: ja oder auch nein, soll Schwermut doch nicht selten auf die Nachkommen übergehen. Dennoch: welch ein Privileg! Weiß sie, dass man sie hört? Oder hält sie die Mauern für undurchdringlich? Wohl kaum. Erregt es sie? Mag sein. Möglicherweise mehr, als ihr ungewaschener König dies noch vermag.
    Aber vielleicht, mutmaßte Escarlati, sind wir Bedienstete für sie einfach eine andere, niedrigere Lebensform. Auch unsereins hat sich früher in der Gegenwart von Sklaven ohne Hemmung nackt ausgezogen, am Hintern gekratzt, Geheimnisse ausposaunt, gepisst und gerülpst.
    Nun schritt Escarlati in der hereinbrechenden Dunkelheit umher, zog das Wams enger um sich, vom Bannkreis eines Lichtscheins zum nächsten sich voranbewegend, und zählte seine Anwesenheit zurück. Ein paar Tage, die Einblicke in zwei seltsame Welten aufgerissen hatten, davon eine die fremde spanische Stadt – ja, dies war zu erwarten gewesen –, die andere unerwartete aber der Blick in den Palast, in den Alcázar, von den Mauren erbaut und seitdem immer wieder erweitert, planlos oft, ein Labyrinth, doch eines ohne Zentrum, Hof an Hof an Hof, und regiert von einem Gespenst, einem schlaflosen, verwahrlosten Monarchen, der sich morgens und abends den Schwanz hochpumpen lässt – wenn das sein Volk wüsste! Escarlati empfand Ekel. Ach! Was, andererseits, geschähe dann schon …
    Er blickte hinter sich zur Giralda, doch dort war der Turm gar nicht und fand sich dann zu seiner Rechten, folglich ging er ein wenig im Kreis, nun, das tut nichts, mal sehen, wohin diese Gasse führt.
    Der Weg kam ihm bekannt vor: War es der zur Wahrsagerin? Egal.
    Nein, er war es nicht. Domingo ging an einer ihm unbekannten verwahrlosten Kneipe vorbei, hinter deren erleuchteter Fensterluke Schattenrisse gestikulierten und Stimmen krakeelten – er trat lieber nicht ein –, dann an einem Brunnen, auf dessen Rand ein paar Katzen im Kreis schlichen, deren eine schwarze plötzlich zum Sprung ansetzte und lautlos auf die Gasse herabglitt, mit dem Dunkel des Abends eins wurde und verschwand. Escarlati kniff die Augen zusammen, blickte ihr nach und marschierte dann weiter, bog mehrere Male und in verschiedene Richtungen ab, absichtlich sich selbst in die Irre führend, und hörte auf einmal Musik aus einer Seitengasse dringen, weit entfernt und kaum wahrnehmbar.
    Die Klänge lösten einen Reflex bei ihm aus, gegen den nicht anzugehen war. Mitten im Schritt, sein rechtes Bein erhoben in der Luft, bog Escarlati ohne nachzudenken und wie eine Holzpuppe rechtwinklig nach links, lauschte und schritt in die Gasse hinein. Ein Automatismus, eine rein körperliche Reaktion, vielleicht so, wie ein guter Koch blitzartig den Kopf wendet und schnüffelt, wenn aus einer Kneipe unbekannte Gerüche dringen. Wie eine Marionette taumelte Domingo den Tönen entgegen.
    Und sogleich erkannte er den Ruf aus dem Meer wieder, den er bei seiner Ankunft über dem versinkenden Floß gehört hatte, den fremden Tropfen Blutes, das fremde Gewebe, dessen ganzes, lebendiges Wesen er nun erblicken oder erhören würde, jetzt, hinter dem nächsten Winkel des Labyrinths.
    Ja, es war wirklich ein Gewebe, aus verschiedenen Fäden, gar Substanzen zusammengefügt. Stoffe, die sich eigentlich nicht mischen: wie Öl und Wasser und Farbe. – Ineinandergreifendes, schnelles Klatschen von Händen. Wie viele? Mindestens vier, dazu gezupfte und geschlagene Akkorde, Stampfen von Schuhen auf Stein und eine raue, gepresste Männerstimme, die ihre unendliche Melodie darüber hinwegschrie. Immer in höchster Höhe ansetzend, sich dort beinahe überschlagend und dann absteigend, ja, immer hinab, hinab in die Finsternis, wie das Leben der Menschen!
    Ihm klopfte das Herz bis zum Hals. Er bog um eine Ecke und trat auf einen Platz hinaus, eigentlich

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