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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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Publikum rempelte aneinander und kam in einem Kreis zum Stehen, wie bei einem Hahnenkampf oder einer Schlägerei, die Gesichter von den Flammen mit Tiefe belegt und in eine einzige Aufmerksamkeit zusammengeschmolzen. Instinktiv fasste sich Escarlati an die Brust, tastete am Wams, ob sich der Lederbeutel noch darunter befand, und war sogleich beschämt, hatte er sich doch dadurch wieder zum Fremden gemacht.
    Korbflaschen, mit Schnaps gefüllt, schienen wie Kakteen neben dem Feuer zu wachsen. Einer nach dem anderen griffen die Künstler danach, knapp an den Flammen vorbei, und tranken.
    Auf einmal fasste der dunkle Sänger Domingo ins Auge und musterte ihn verwundert, ohne aus der Dimension des Gesanges hervorzukommen – und Domingo blickte an sich herab, verlegen, doch warum? – Ja natürlich, der offizielle Rock! Damit musste er aus der Reihe der Halunken, die ihn flankierten, herausstechen: wie ein Gefangener, von Wächtern umringt!
    Da erst entdeckte Escarlati, dass auf einem Rost über dem Feuer Würste und Fleisch brutzelten. Ein alter Mann hatte sich aus dem Kreis gelöst und drehte die Brocken mit bloßen Fingern um, blitzschnell, wie man den Docht einer Kerze ausdrückt. Der Meister roch nichts, und ihm wurde nicht übel. – Wie konnte das sein? Als habe der Gehörsinn den Geruchssinn überwältigt: So erreichte der Todesgeruch Escarlati dieses Mal nicht, wurde nicht schreckliche Erinnerung, sondern blieb Schwade, blieb Dunst.
    Als im Hintergrund Geschrei laut wurde, fiel dies zunächst gar nicht weiter auf, klang eher nach zusätzlichen Anfeuerungsrufen, die vielleicht einen musikalischen Höhepunkt der Darbietung begleiteten oder gar heraufbeschworen, befand man sich ja unter Kennern – das war klar. Doch dann kamen einige Kinder und Halbwüchsige angerannt, schmutzig, ohne Schuhe, und wühlten sich wie Mäuse in den inneren Kreis, woraufhin der Gesang abbrach und alles in Bewegung geriet. Die Runde stob auseinander, und Escarlati sah eine Horde Spanier auf den Platz stürmen, in festen Schuhen, dabei mit Stöcken und Äxten gestikulierend: »Räuber! Hände ab, Tagediebe! Die Ohren ab! Hängt sie alle auf!«
    Eine Vihuela fiel zu Boden, ihr Hals brach, als der Spieler selbst darüber stolperte, und es gab einen harten, verstimmten Klang, der sogar den Tumult übertönte.
    Die Gestalten flohen durcheinander ins Dunkel, huschten davon, ganz selbstverständlich, ohne Widerrede oder Gegenwehr, einer rannte quer durch das Feuer – der war doch barfuß? –, und eine Funkenwolke wirbelte hinter ihm auf. Der Grillrost kippte um, die Fleischbrocken kullerten davon und wurden mit Sand paniert. Schon zielte der erste Hund nach einem Stück, näherte sich mit erhobenem Rücken und eingezogenem Schwanz und biss zu. Escarlati glaubte, seine Zähne knirschen zu hören, einen silbrigen, knackenden Laut, und sah einen Augenblick lang das rote Innere des Fleisches.
    Die Spanier waren nun hinter den Kindern her, und ein paar Kerle stürzten sich auf eine alte Frau, in deren Rockfalten sich einer der Burschen hatte verbergen wollen, der dann jedoch wieder aufsprang und lautlos davonhuschte. Die Alte ging zu Boden, wehrte Fußtritte ab und schimpfte.
    »He!«, rief Escarlati, der noch nicht wahrhaben wollte, welcher Seite er sich zugehörig fühlte, und zu vermitteln versuchte, waren die Schläger doch fein gekleidet wie er, Landsleute sozusagen. »Lasst doch das alte Mütterlein …«
    Auch der Sänger schritt nun davon, rannte nicht und wandte sich nicht um, als wäre sein Rücken ein unverletzbarer Schild. »Verschwinde«, sagte er zu Escarlati, als er ihn passierte, »du gehörst hier nicht her, das ist unsere Sache.« Ist es seit Jahrtausenden und wird es immer sein, fügte sein Blick hinzu.
    »Wartet!«, rief Escarlati, »so ist es nicht! Wo kann ich Euch …«
    Zu spät. Zwei, drei zurückgebliebene Weiber rappelten sich auf, humpelten davon, den anderen nach, und ein paar Hunde, unfähig, sich vom Fleischduft zu lösen, empfingen Stiefeltritte und jaulten.
    Die Schläger marschierten wie Landsknechte auf dem Platz umher, stießen mit den Schuhspitzen an verkohlte Würste und die Reste des Musikinstrumentes, stemmten wie nach getaner Arbeit die Arme in die Seiten, betrachteten ihr Werk und lachten dabei dümmlich und brutal. Das Ganze war lächerlich, wie ein dörfliches Mysterienspiel, die Eroberung Amerikas nachstellend. Einer der Kerle brachte die Schnapsflaschen in Sicherheit, das heißt, stahl sie und

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