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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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der Linken an der blutüberlaufenen Flanke des Tieres ab und griff dann hoch über sich, als wolle er auf einem Schrank nach versteckten Süßigkeiten angeln, setzte dort oben sein Schwert an und stach zu, sprang beinahe im selben Moment seitwärts davon, womit er guten Instinkt bewies, denn der Stier schlug augenblicklich wild um sich, unkontrolliert allerdings schon und immer mehr in Zittern übergehend, eine pulsierende Fleischmasse endlich nur noch, die weich wurde, vornüber kippte und sich nicht mehr rührte.
    Der Bursche würdigte den Kadaver hinter ihm keines Blickes, schritt jedoch rückwärts an ihn heran, bis er in der Kuhle des Bauches zwischen den ausgestreckten Gliedmaßen stand, ein Zwerg in einem Rund aus Fleisch, vollführte dann eine ausladende, gut einstudierte Geste mit der Rechten und hob die Mütze hoch in die Luft – das Ganze ein Gesamtbild kindlichen, peinlichen und doch rührenden Stolzes.
    »Geht das denn immer so weiter?«, stöhnte Escarlati, als auch der zweite Niño sein Opfer zugeteilt bekam, als wieder ein schwarzes Ungetüm den Sand stürmte und wieder der Picador seine Arbeit aufnahm.
    »Ihr müsst auf die Feinheiten achtgeben«, sagte der Monseñor, der erneut an Escarlatis Seite aufgetaucht war. »Jeder Kampf ist anders, zumindest im Detail – und somit einzigartig. Wie verhält es sich denn mit Euren Sonaten? Ist es da nicht ähnlich? Genügte es denn, nur eine anzuhören?«
    Escarlati schob diesen Vergleich von sich fort und schüttelte unwillig den Kopf.
    Draußen geschah das Übliche. Der junge Kämpfer schwenkte sein Tuch, der Stier peilte es wieder und wieder an, rannte dagegen, als wolle er mit Gewalt das Tor zum Stierparadies aufstoßen, und traf doch ins Leere.
    »Der ist ja noch besser als der erste«, rief Rávago, und der Trompeter stimmte ihm zu: »Ein Naturtalent! Endlich einmal wieder – nach so langer Zeit!«
    Wenn sich dies denn wirklich so verhielt – was Escarlati nicht beurteilen konnte –, dann war das Schicksal ganz entschieden gegen eine glorreiche Zukunft des Kleinen.
    Denn ein unvorhergesehener Faltenflug der Muleta, wenn nicht durch ein Ungeschick des Toreros hervorgerufen, dann durch einen Windstoß – also in der Tat vom Schicksal –, platzierte einen Zipfel kurzerhand unter dem linken Fuß des Burschen und brachte ihn zum Stolpern.
    Dies geschah auf Domingos Seite der Arena, nur wenige Schritte entfernt.
    Wider Erwarten fing sich der Junge wieder und ging nicht ganz zu Boden, doch zog er sich selbst das schützende Tuch weg, indem er einen Augenblick zu lang auf dessen Rand stehen blieb, und der Stier erkannte nun seinen Feind von Angesicht zu Angesicht – was niemals geschehen darf – und vollführte sogleich dieselbe Stoßbewegung wie zuvor, doch diesmal gegen einen Körper aus Fleisch und Blut.
    Das rechte Horn ging dem Bub unter dem kurzen, stickereiverzierten Jäckchen tief in die Brust. Dadurch hing der schmächtige Körper fest wie angeschraubt, wurde in die Luft gehoben und hinund hergeschleudert, denn der Stier wollte den lästigen Gegenstand an seinem Horn loswerden, was endlich auch gelang. Schlaff wie eine Gliederpuppe rollte der menschliche Körper in den Sand und blieb auf dem Rücken liegen.
    Einen Atemzug lang sah Escarlati in die Augen des Sterbenden oder Toten, zum Greifen nah, bevor der Stier über den Körper hinwegtrampelte.
    Alle Zuschauer hatten gemeinsam aufgeschrien und waren gleichzeitig verstummt – ein Geräusch, als würde irgendwo ein schwerer eiserner Riegel geschlossen.
    Escarlati wandte sich von dem schrecklichen Bild ab, und sein Blick ging zur Königsloge: Maria Barbara hatte die Hände vor das Gesicht gepresst, ließ sie gerade wieder sinken und begann zu schreien – wie auch die ganze Tribüne nun durcheinanderrief. Prinz Fernando aber starrte unbeweglich auf den zertretenen Menschen in der Arena, den Mund zu einem gierigen Grinsen verzerrt, die Augen weit geöffnet, beide Hände in die Brüstung verkrallt.
    »Das ist ja schlimmer als ein Autodafé«, kreischte der Monseñor, blickte zustimmungsheischend umher und schlug sich dann eine Hand vor den Mund – man hat ja als Christenmensch auch seine Gefühle.
    Escarlati stolperte davon, grub sich eine Gasse durch Publikum und Musiker, sah wie eingebrannt noch immer den Blick des Prinzen vor sich, grausig und begeistert.
    »Die Fanfaren, Meister!«, rief ihm der Trompeter hintennach, doch vergebens. Man würde sie ohne den Dirigenten geben müssen.
    Als

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