Klang des Verbotenen
Escarlati endlich die Tribüne hinter sich gelassen hatte und sich in einer der finsteren abgeriegelten Gassen wiederfand, im Rücken Gebrüll, aber auch Applaus als letzte Ehre für den Toten, da lehnte er sich an eine Wand und blickte zu Boden. Seine Beine zitterten, und er übergab sich.
23
»Stierkampf? Nein, wir Gitanos tun so etwas nicht.« Curro verzog den Mund. »Sind doch selbst verfolgte Kreaturen. Wisst ihr was, bald steigt man wieder gegen uns in die Arena. Wartet es ab! Dann wird es auch Gitaneros niños geben. Und man wird ihnen applaudieren.«
»Auch ich stehe auf Seiten des Stiers«, sagte Japón. »Des Samurai mit zwei angewachsenen Schwertern am Kopf.« Er legte seine Fäuste an die Schläfen, ließ seine Zeigefinger nach vorne stehen und grunzte.
»Ich weiß nicht«, sagte Escarlati. »Das Schauspiel erschien mir zwar abstoßend, aber auch faszinierend. Nicht der Kampf war es, der mich anwiderte, sondern die Erkenntnis, dass man in diesem Land Tiere besser behandelt als Menschen.«
»Ja, sollte man sie denn schlechter behandeln?«, warf Japón ein. »Sind sie nicht vielleicht gar die edleren Wesen und hätten somit auf besondere Behandlung ein Anrecht?«
»Du Philosoph!« Escarlati dachte nach. »Nein, nein …«, sagte er dann, »… umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich meine Folgendes: Niemals wird man einen Stier über einem Scheiterhaufen festbinden, diesen anzünden und dann zusehen, wie das Tier verbrennt, dessen Gebrüll lauschen und … den Geruch riechen.«
»Oh, das ist wahr«, sagte Montoya langsam. »Eine Corrida mit solchem Ausgang wäre nicht beliebt.«
»Doch mit Menschen tut man das«, sagte Escarlati und fuhr nach einigem Schweigen fort: »Und es ist sogar beliebt. Zumindest in Lisboa.«
»Hier auch. Ich weiß«, sagte Japón.
»Das wundert mich nicht.« Domingo sah vor sich hin. »Japón, wenn ich an den toten Niño denke, dann kommt noch ein Zweites hinzu, ein zweiter Unterschied, der mir nicht aus dem Kopf will, und zwar dieser: Noch nie ist meines Wissens derjenige, der beim Autodafé die Fackel an die Scheite hält, dabei umgekommen.«
»Noch derjenige, der das Urteil gesprochen hat.«
»Oder verlesen.«
»Oder unterschrieben.«
»Oder gefordert«, fügte Montoya hinzu.
»Das ist Töten ohne jegliches Risiko. Bei einer Corrida aber verhält es sich anders«, sagte Escarlati.
»Was kann unsereins schon tun«, seufzte Curro. »Nichts«, gab er sich selbst die Antwort und wartete vergebens auf Widerspruch.
»Gar nichts«, sagte Japón. »Der schlimmste Feind des Menschen ist nicht der Stier, nicht der Wolf in der Sierra, nein, das ist der Mensch.«
»Dieser Gedanke ist nicht neu«, sagte Escarlati, »sondern uralt – und wahr.«
»Claro. Die Erbsünde«, flüsterte Curro mit Schaudern.
»Und zu allem Unglück soll ich wieder geistliche Musik komponieren«, brach Escarlati nach einer Weile das Schweigen. »Sie geben mir sogar Kastraten, wenn ich welche brauche. Aber ich will nicht.«
»Sie geben dir was ?«, fragte Curro.
Escarlati erklärte mehr oder weniger deutlich, worum es sich handelte.
»Das heißt«, rief Montoya und klatschte sich auf die Schenkel, »für deine Musik schnippeln sich ein paar Jungs …«, er senkte die Stimme, »den Schwanz ab?«
»Na … ja«, murmelte Escarlati verlegen. »Erstens nicht nur meinetwegen und zweitens nicht den …, sondern nur die …«
»Eier!«, seufzte Curro, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »So ein Unsinn!«
»Weil die Frauen nicht das Recht hatten, in der Kirche zu singen. So kam man darauf. Dann stellte man fest, was für unglaubliche Stimmen diese Wesen entwickeln können. Höher hinauf als Männer und lauter als Frauen. Wie geschaffen für die Oper, versteht ihr?«
»Ich glaub’s nicht. Das glaube ich einfach nicht.«
Japón machte eine resignierte Geste: O doch. Überall Verrückte …
So scherzte man dahin, gleichsam unter halben Segeln, denn es kam keine rechte Stimmung auf.
Die Sonnenstrahlen erreichten das Gebäude, wärmten den Stein, und Curro setzte sich nach draußen auf die Schwelle; die beiden anderen folgten. Escarlati betrachtete die Grasbüschel, dachte mit Grausen an den Monseñor und sehnte sich zurück nach Italien. Ein paar Spatzen zwitscherten umher. Curro stellte sich das Schicksal der Kastraten vor und war es zufrieden, unverstümmelt und nicht in der Oper, sondern nur für die Gitanos zu singen. Japón machte sich Sorgen um seinen Freund Escarlati.
»Wenn man ihm
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