Klang des Verbotenen
und angrenzenden Fassaden auf den vier Seiten des Platzes waren detailliert gestochen, jeweils wie zu Boden geklappt dargestellt, sodass die unterste Häuserzeile auf dem Kopf stand.
Ein schönes Mitbringsel.
Das unregelmäßige Rechteck der Arena hatte der Zeichner durch zwei gestrichelte Linien, die Diagonalen, unterteilt, in deren Schnittpunkt der auszuführende Pfad begann – und der erste Reiter hatte auch schon den Toril verlassen, wieder mit einer Lanze bewaffnet und sich an ebendiesen Startpunkt begeben.
Dann ging es eine imaginäre Linie entlang, auf dem Stich durch Kreuzbahnen beschrieben wie bei einem Schnittmuster, um zwei, drei Hindernisse, die man flugs aufgestellt hatte, herum und dann in eine große Spirale hinein, die sich durch die Hufspuren sichtbar im Sand einrollte, bis sich Pferd und Reiter auf der Stelle drehten und in der Mitte des Platzes zum Stehen kamen.
Nun nahm der Ritter Anlauf, gab dem Pferd die Sporen, beschleunigte und galoppierte an die Balustrade heran, an der Königsloge entlang und dann auf den Pappmauren zu, die Lanze auf das Ziel gerichtet – doch nur gestreift. Verfehlt! Escarlati musste blinzeln, so knapp ging es an der Barrera, dem Holz, vorbei.
Die Aufgabe war nicht so einfach, wie es aussah, denn der Kopf schwankte, und zwar je öfter ein Stoß ihn berührte, desto mehr.
Schon hatte sich ein zweiter Reitersmann durch die Spirale gefädelt, dort die Spuren vertieft und ebenfalls Anlauf genommen. Und ein dritter, vierter und fünfter, immer dichter einander auf den Hufen.
Ging der Stoß daneben, dann hatten Ross und Reiter einen verschlungenen Pfad durch die restliche Arena zu legen, dabei den Hut zu lüpfen und den Präsidenten um Erlaubnis für einen neuen Versuch zu bitten. Und dann hieß es: hinten anstellen.
»Moros perros! Perros!«, schrie die Menge jedes Mal, wenn ein Reiter auf den schaukelnden Kopf zugaloppierte.
Wo bin ich da nur hineingeraten?, fragte sich Escarlati, der an spielende Kinder denken musste und den Reiz der Aufgabe nicht verstand.
Und wieder pendelte der künstliche Kopf knapp an der Lanze vorbei und war noch einmal gerettet.
»Aah«, brüllte die Arena kehlig, der stinkende Hauch eines riesigen, unsichtbaren Wesens: »Räudige Maurenhunde!«
Die Lanze des nächsten Reiters traf endlich das Gesicht mitten in den Mund, pfählte das menschengleiche Antlitz mit blitzartiger Geschwindigkeit, wodurch es auseinanderplatzte und einen Schwall künstlichen Blutes freigab, viel roter noch als das Original und vielleicht aus zerstampften Tomaten und einem Schuss Rotwein gemacht. Die Flüssigkeit spritzte in den Sand und bildete eine Lache, welche aber sogleich flach wurde und versickerte. Ein Tropfen der klebrigen Schmiere hatte Escarlati an der Backe getroffen.
Zwei, drei Fetzen maurischen Kraushaars und eine Lippe: Das waren die größten Überbleibsel der Bombe aus Pappmaché, und auch diese zerstampften die Pferde zu Brei.
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, krächzte Escarlati, der Blut und nicht Tomaten oder Wein zu riechen vermeinte, als er sich mit dem Ärmel die Wange abwischte, doch der Sekretär neben ihm hörte nicht hin, schrie er doch mit und war wie alle dem kollektiven Hass gegen die Mauren verfallen, die schon vor Jahrhunderten das Land verlassen hatten – und dies nicht freiwillig.
Escarlati sah in die Königsloge hinüber. Felipe V. saß wie versteinert, mit festgefrorenem, seinen Untertanen gewidmetem Lächeln und regte sich nicht.
Prinz Fernando hingegen applaudierte wie ein Wilder, viel zu schnell und mit gekrümmtem Rücken, sodass er wie ein Äffchen aussah, das sich befriedigte.
Die Frauen, Königin und Prinzessin, beachteten den Prinzen nicht, unterhielten sich ernst, nickten ab und zu oder schüttelten die Köpfe.
Das Gerüst mit dem nackten Jüngling wurde eingeholt, der Sekretär murmelte Escarlati etwas ins Ohr, und dieser langte hinter sich, um den Einsatz zu einer Zwischenfanfare zu geben, kehrte aber nicht mehr zurück ans Cembalo. Wozu auch?
Inzwischen hatte man den Sand mit Rechen und Reisigbesen notdürftig geglättet und für die eigentliche Corrida vorbereitet, die nun endlich beginnen konnte, und zwar gleich mit einem Höhepunkt: den Toreros niños.
Kindertoreros, besser vielleicht: Hirtenbuben, die des Nachts Weidezäune überklettern – nackt, damit ihre Kleidung keinen Schaden nimmt –, um dort den Stierkampf zu üben, die mit ihren ärmlichen Muletas aus alten Bettlaken um die Kampfstiere
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