Klang des Verbotenen
nichts los. Mein Geschmack«, sagte er mit einem Seitenblick auf Japón, »ist heute ja auch schlecht genug. Warum also nicht. Ich erzähle euch die Geschichte von der Eisenkette über den Guadalquivir und dem Meeresungeheuer, das sich eines Tages darin verfing.«
»Die kenne ich schon«, flüsterte einer der Jungs seinem Freund ins Ohr. »Sie ist schaurig. Richtig gut.«
»Still jetzt!«, rief Montoya. »Vor langer Zeit beschlossen die Stadtväter von Sevilla, den Guadalquivir mit einer Eisenkette abzusperren, und zwar jede Nacht, vom Einbruch der Dunkelheit bis zur Morgenröte. Warum? Immer wieder kamen Schmuggler und Betrüger im Schutz der Nacht flussaufwärts, machten in der Finsternis fest, löschten ihre gestohlene Ladung oder nahmen neues Diebesgut an Bord und verschwanden dann wieder mit dem Morgennebel, lautlos und unentdeckt.
So ließ man also eine Kette schmieden, aus vielen Tausend Gliedern zusammengesetzt, und band das eine Ende um den Torre del Oro, den Turm aus Gold. Man sagt, dass dieser Turm früher viel weiter draußen stand, vor der Stadt und schon fast bei Carmona, und dass er erst durch das ungeheure Gewicht der Kette an das Ufer des Guadalquivir gezerrt wurde, und zwar bis zu der Stelle, an der er heute steht.«
»Ist das wirklich wahr?«, fragte einer der jungen Zuhörer und ließ seinen Mund geöffnet stehen.
»Seht euch den Fahrweg hinter dem Turm genau an, jenen Weg, der zum Platz vor der Giralda hinaufführt – ist dies denn nicht die Spur, die der Turm bei seiner Wanderung gezogen hat?«, lachte Curro und fuhr fort: »Die Kette wurde also aufgerollt und mit einem Boot über den Fluss gefahren, wobei dieses sich in dem Maße aus dem Wasser hob, in dem sich die Kette auf den Flussgrund abspulte. Ihr anderes Ende wickelte man auf ein riesiges Spill in Triana, das, wie ihr wisst, auf der gegenüberliegenden Seite des Guadalquivir liegt. Jeden Tag nun, bei Anbruch der Dunkelheit, stellte man vier Pferde um das Drehkreuz – wie die vier Richtungen des Windes – und schraubte die Kette aus dem Wasser herauf, bis sie sich gespannt und triefend über den Fluss erhob und Ein- oder Ausfahrt versperrte. Wenn dann der Morgen graute, versank die eiserne Saite wieder in den Fluten.«
»Was ist mit dem Meeresungeheuer?«
»Nur Geduld. So geschah es, wie gesagt, jeden Abend und jeden Morgen. Ihr wisst, die Wasser unseres Flusses sind schlammig, und niemals kann man deshalb bis zum Grund schauen, doch vielleicht habt ihr schon einmal von einem Kirchturm auf den Guadalquivir hinabgeblickt und einen riesigen Schatten im Wasser gesehen oder zu sehen geglaubt? – Nicht wahr, ihr habt ihn gesehen, o ja, das spüre ich. – Und wisst ihr, das ist es! Das Meeresungeheuer, das am Grund entlangkriecht. Es ist größer als der größte Fisch, schrecklicher als der schrecklichste Krake, mit drei Dutzend Fangarmen versehen, mit Zangen gleich jenen der Krebse, doch so groß und so stark wie Olivenpressen. Eine Handvoll Augen über den Kopf verteilt und um das gewaltige Maul herum, das sich immer wieder öffnet und schließt, öffnet und schließt. Und sein Kleid hat Schuppen wie ein Fisch, Federn wie ein Vogel und Haare wie ein Stier.
Dieses Ungeheuer also lag unter den Kielen der Schiffe, Tag für Tag, den Kopf auf die eiserne Kette gebettet, und schlief und träumte.
Doch eines Tages hatte sich sein Schuppen-, Feder- und Haarkleid im Anker einer Galeone verfangen, die spätnachmittags über dem Ungeheuer festgemacht hatte, und zwar genau über seinem Kopf.«
»Und dann?«
»Und dann, als es Abend wurde, spannte sich die Kette wieder und schnitt durch die fauligen Wasser des Guadalquivir wie eine Litze durch den Käselaib. Und dabei trennte sie dem Ungeheuer den Kopf ab, das grausige schwarze Haupt mit den wie Murmeln darauf verstreuten Augen, denn das Biest hing ja an dem Anker fest. Und die Kette schnitt auch durch des Ungeheuers Träume glatt hindurch, denn es träumte gerade, und zwar Fürchterliches! – Fürchterlicher noch als seine Gedanken, wenn es wachte, und das will etwas heißen.
So traten die Träume aus dem Halsstumpf aus, erhoben sich über das Wasser und die Stadt, wo sie noch tagelang umhertrieben wie übel riechender Dunst, und viele Nächte lang schliefen die Bürger von Sevilla schlecht, stöhnten im Schlaf, schnarchten noch lauter als sonst …«
»Das war mein Papa«, flüsterte ein Junge angstschlotternd.
»… Und manch ein finsterer Geselle strangulierte des anderen Hals wie
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