Klassentreffen (German Edition)
herangehen?
»Es war eine Sektlaune. Mehr nicht.« Meike presste ihre Lippen aufeinander.
Franzi nickte. »Wahrscheinlich.« Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Sie wusste selbst nicht, warum.
»Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren. Als Freundin . . .« Meike schluckte. »Und mehr . . . Das kann ich dir nicht bieten.«
»Ich weiß«, flüsterte Franzi.
Wieder suchten Meikes Hände Franzis. Ihre Fingerspitzen berührten Franzis Handrücken.
»Ich sollte mich langsam auf den Heimweg machen«, murmelte Franzi. Ihre Haut brannte unter der Berührung. Sprach Meikes Verhalten dieselbe Sprache wie ihre Worte? Franzi war verwirrt. Lange konnte das nicht gutgehen.
Meike sah auf die Uhr. »Oh, du hast recht. Es ist spät geworden.«
Franzi winkte die Kellnerin herbei und übernahm für sie beide die Rechnung.
Zum Abschied umarmte Franzi Meike, als sie vor dem Café standen. »Ich hole dich Samstag ab. Um sechs. Ich freue mich«, sagte sie, auch wenn sie längst nicht mehr wusste, ob das wirklich eine gute Idee war.
Für einen winzigen Augenblick berührten Meikes Lippen Franzis Wange. »Ich freue mich auch. Komm gut nach Hause.«
»Du auch.« Franzi verschwand in der Dunkelheit.
Meike blieb allein zurück. Sie entschied sich, noch ein paar Schritte spazieren zu gehen. Die frische Luft würde ihr sicherlich guttun und ihr helfen, ihre Gedanken zu ordnen.
Für einen Septemberabend war es ungewöhnlich frisch.
Langsam schlenderte Meike über den Marktplatz. Es waren nicht mehr viele Leute unterwegs. Die meisten Geschäfte waren bereits geschlossen.
Franzis Worte während ihres Berichts über Isabels Tod gingen Meike nicht aus dem Kopf. So eine Wunde heilt niemals ganz.
Franzi musste unheimlich gelitten haben, und so, wie sie heute ausgesehen hatte, als sie von Isabel erzählt hatte, litt sie immer noch. Ob man sich nach so einem Verlust je wieder auf einen anderen Menschen einlassen konnte? Oder ob einen diese nicht verheilte Wunde immer daran hinderte? Konnte in einem Herzen Platz für zwei Menschen sein?
Meike wusste es nicht.
Die Vorstellung, seinen Partner zu verlieren, war schrecklich für Meike. Wenn Thomas etwas passiert wäre, als sie noch ein glückliches Paar gewesen waren . . .
Sie kickte einen kleinen Stein zur Seite. Waren sie denn jemals wirklich glücklich gewesen? War das Liebe gewesen? Oder war es nur eine Scheinwelt, in der sie gelebt hatte, weil es ihr so vorgeschrieben worden war, weil sie nichts anderes kannte? Hatte sie dieses Leben wirklich gewollt?
Meike starrte auf das Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen. Was wäre passiert, wenn sie als Schülerin Franzis Kuss erwidert hätte – oder wenn es vielleicht nicht bei einem Kuss geblieben wäre?
Einige Tage hatte sie damals darüber nachgedacht, ob auch sie mehr für Franzi empfinden könnte als reine Freundschaft. Aber diese Gedanken waren ihr absurd erschienen. Sie und eine Frau? Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ihr Vater hätte sie höchstpersönlich aus der Wohnung geworfen.
Doch seit dem Klassentreffen musste sie ständig an Franzi denken. Es hatte sich gut angefühlt, sie zu küssen. Es hatte sich richtig angefühlt, sie zu berühren. Auch wenn sie eine Frau war. Oder vielleicht gerade deswegen . . . Diese Gefühle verwirrten sie. War es das, was sie tief in ihrem Inneren wollte? Das, wonach sie sich insgeheim sehnte?
Franzi hatte gesagt, dass es gedauert hatte, bis sie sich selbst darüber im Klaren war, lesbisch zu sein. Dass es ein langer Prozess gewesen sei. War es bei Meike vielleicht ähnlich? Brauchte sie nur Zeit, um zu erkennen, dass sie in Wirklichkeit Frauen liebte?
Meike schüttelte den Kopf. Das war doch völliger Blödsinn. Thomas war nur nicht der Richtige gewesen. Aber deswegen gleich ihre Heterosexualität in Frage zu stellen – das ging eindeutig zu weit.
Und trotzdem . . . Sie konnte diese Gefühle, die Franzi in ihr ausgelöst hatte, nicht leugnen. Am Freitagabend nach dem Klassentreffen hatte sie etwas gespürt, das sie nie zuvor empfunden hatte. Auch wenn es nur ein Kuss gewesen war.
Was wäre, wenn sie doch lesbisch wäre? Eine lesbische Lehrerin in einer Kleinstadt . . .
Meike blickte in den sternenklaren Himmel, als könne er ihr die Antwort auf all ihre Fragen verraten.
Zumindest der ein oder andere Kollege hätte damit ganz bestimmt seine Probleme. Aber seinen Kollegen konnte man aus dem Weg gehen. Dem Direktor dagegen . . . Was ihr
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