Klassentreffen (German Edition)
Franzi zögernd zu. »Zumindest warst du die erste Frau, in die ich mich ernsthaft verliebt habe. Das war mehr als nur eine harmlose Schwärmerei.«
»Es tut mir leid, wie ich damals reagiert habe«, entschuldigte sich Meike. »Ich . . .« Sie atmete hörbar aus. »Ich konnte das einfach nicht. Ich meine, du warst eine Frau, und ich . . . ich bin hetero.« Sie starrte auf die Tischdecke. »Wie war das eigentlich für dich, als du gemerkt hast, dass du lesbisch bist?«, erkundigte sie sich nach einer Pause leise.
»So einfach gemerkt von heute auf morgen habe ich es nicht. Das war schon ein etwas längerer Prozess. Bis ich mir eingestanden habe, dass ich mich in eine Frau, also in dich, verliebt habe, das hat gedauert.« Franzi schmunzelte. Sie war damals sehr unbedarft gewesen. »Gemerkt, dass mich Frauen mehr interessieren, als das zum Beispiel bei dir der Fall war – also mehr, als das für ein Mädchen so üblich war –, das habe ich schon früher. Irgendwann habe ich dann im Fernsehen mal ein Frauenpaar gesehen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass so etwas auch ging . . . dass sich zwei Frauen lieben können. Trotzdem habe ich selbst da noch nicht begriffen, dass ich vielleicht lesbisch sein könnte.« Franzi hob eine Augenbraue. »Richtig sicher war ich mir erst nach unserem Kuss. Und nachdem ich dann mit Simone zusammengekommen bin, war auch der allerletzte Zweifel ausgeräumt.«
»Wie ging denn das weiter mit Simone? Ihr wart ja nach dem Abi noch zusammen. Soweit ich das mitbekommen habe.« Meike leerte ihre Tasse. Der Kaffee war mittlerweile kalt geworden.
Franzi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber nicht mehr sehr lange. Uns war schnell klar, dass wir im Grunde nicht zusammengepasst haben. Ich glaube, wir sind damals vor allem deshalb ein Paar geworden, weil wir für die andere jeweils die am besten greifbare Lesbe waren. Aber schön war es trotzdem.« Franzi zwinkerte Meike vielsagend zu.
»War das für dich nie komisch, mit einer Frau zusammen zu sein?« Meikes Neugier schien noch immer nicht befriedigt.
»Eigentlich nicht«, sagte Franzi. »Ich hatte großes Glück. Meine Familie hat mein Lesbischsein sehr positiv aufgenommen, und auch meine Freunde, Studienkollegen und Arbeitskollegen hatten nie wirklich Probleme damit. Sicherlich ist es vorgekommen, dass ich seltsam angeguckt wurde, wenn ich mit einer Frau händchenhaltend durch die Stadt gelaufen bin. Aber für mich fühlt es sich ganz normal an . . . ich denke überhaupt nicht darüber nach. Dass der ein oder andere Opi kurz vor einem Herzinfarkt steht, wenn ich meine Freundin in der Öffentlichkeit küsse, vergesse ich meistens.«
»Hast du denn im Moment eine Freundin?« Meike schob die Kuchenkrümel auf ihrem Teller von einer Seite zur anderen und schien diesem Vorgang ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen.
Diese Frage hatte Franzi erwartet. Und gefürchtet.
»Nein, habe ich nicht«, antwortete sie mit brüchiger Stimme. »Nicht mehr.« Ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in ihren Unterarm und hinterließen tiefe Kerben. Bisher war sie immer ausgewichen, wenn es um die Liebe ging. Zu ihrem eigenen Schutz – es tat einfach zu weh. Aber Meike musste sie jetzt endlich die Wahrheit sagen, damit diese ihr Verhalten verstand. Sie versuchte sich innerlich zu wappnen.
»Meine Freundin . . .« Sie stockte. Der Schmerz traf sie mit unverminderter Wucht, war nach wie vor zu tief, als dass sie sich wirklich darauf hätte vorbereiten können. Aber sie zwang sich weiterzusprechen. »Isabel ist vor zwei Jahren gestorben.« Und nach einer weiteren Pause: »Bei einem Autounfall.«
»Das tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung.« Fassungslos sah Meike Franzi an. »Das muss schlimm für dich gewesen sein.«
Franzi nickte. Sie schluckte, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. »Es ist immer noch sehr schlimm. Glaub mir. Dass die Zeit alle Wunden heilt, ist völliger Blödsinn. So eine Wunde heilt niemals ganz.«
Erneut griff Meike nach Franzis Händen. Zärtlich streichelte sie über Franzis Handrücken. »Wie lange wart ihr zusammen?«
»Neun Jahre.« Franzis Zunge klebte an ihrem Gaumen. Jedes Wort war eine Tortur, aber es gab kein Zurück mehr – sie musste weiter, Schritt für Schritt durch die quälenden Erinnerungen. »Nach ihrem Tod hatte ich keine Ahnung, wie ich jemals allein wieder glücklich werden sollte. Das kam alles so plötzlich. Am Morgen haben wir noch zusammen gefrühstückt, und am
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