Klassentreffen (German Edition)
Abend stand ein Polizist vor unserer Tür. Ich konnte das alles gar nicht glauben. Es war so . . . unwirklich.« Sie starrte ins Leere.
»Weißt du, was damals passiert ist?«
»Isabels Auto ist mit einem anderen PKW kollidiert. Wahrscheinlich ist der andere über eine rote Ampel gefahren. Mit Vollgas. Isabel hatte keine Chance. Sie ist zwar noch ins Krankenhaus gekommen – die Ärzte haben alles versucht. Aber es war zu spät.« Franzi presste die Lippen fest aufeinander.
Bisher hatte sie diese Geschichte noch kaum jemandem erzählt. Ihre damaligen Arbeitskollegen in Braunschweig waren schnell zum Alltag übergegangen, als Franzi zurück in der Apotheke war. Sie hatten nicht weiter nachgefragt. Nur Cori, ihre beste Freundin, und ihre Mutter waren für sie da gewesen und hatten ihr zugehört. Die anderen Freunde, oder zumindest die, die sie dafür gehalten hatte, hatten sich irgendwann nicht mehr bei ihr gemeldet; sie war immer seltener eingeladen worden. Offensichtlich wollte niemand etwas mit einer Trauernden unternehmen. Sie schien allen lästig geworden zu sein.
Meike drückte Franzis Hände fester. »Das ist wirklich furchtbar. Kann ich irgendetwas für dich tun?« Auf ihren Armen hatte sich eine Gänsehaut gebildet.
»Das ist lieb von dir. Aber mittlerweile komme ich eigentlich ganz gut klar. Es war ein langer und sehr anstrengender Weg, auch für meine Mitmenschen. Nur über Isabel reden, das ist noch schwer. Wenigstens erinnert mich hier in Goslar nicht mehr alles an sie.« Franzi wischte sich über die Augen und atmete dann tief durch. »Und jetzt lass uns bitte über etwas anderes sprechen.« Krampfhaft suchte sie nach einem angenehmeren Thema. »Was machst du denn am Wochenende?«, war schließlich das Beste, was ihr einfiel.
Auf Meikes Stirn erschien eine Falte. »Ähm . . . Eigentlich habe ich keine speziellen Pläne. Vielleicht wollte ich Samstag zum Altstadtfest.«
»Hast du Lust, mit mir zusammen dort hinzugehen?«, hörte Franzi sich plötzlich fragen. Bisher hatte sie gar nicht vorgehabt, zum alljährlichen Altstadtfest zu gehen, aber gemeinsam mit Meike . . .
»Sehr gern! Ich liebe das Altstadtfest. Ich bin sogar meistens extra nach Goslar gekommen, als ich noch in Hannover gelebt habe, nur um dabei zu sein.« Meike lachte und zuckte mit den Schultern. »Ein bisschen verrückt.«
»Das finde ich nicht.« Franzi lächelte Meike an. »Weißt du noch, wie wir damals auf dem Altstadtfest unser erstes Bier getrunken haben? Igitt, hat das scheußlich geschmeckt. Und du hattest so große Angst, dass dein Vater das merken könnte, dass du dich spontan entschlossen hast, bei mir zu übernachten.«
»Und das, obwohl Papa auch darüber böse war. Aber über das Bier wäre er noch viel böser geworden.« Meike kicherte.
»Gemerkt hätte er das auf jeden Fall. So albern, wie du plötzlich warst. Ich glaube, du hattest ’nen ganz schönen Schwips.«
»Das kann überhaupt nicht sein.« Meike lachte.
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Franzi hatte die Zeit vollkommen aus den Augen verloren. Mit einem Mal wurde ihr klar, wie sehr sie den Nachmittag mit Meike genossen hatte. Trotz der vielen Jahre, in denen sie sich nicht gesehen hatten, konnte sie noch immer mit ihr über alles sprechen. Meike verstand sie.
Nur über eines hatten sie noch nicht gesprochen, und Meike schien das Thema genauso meiden zu wollen wie Franzi. Aber Franzi konnte nicht weitermachen, als sei nichts gewesen – sie musste es jetzt endlich klären. »Wegen unseres Klassentreffens . . . Also, der Abend . . . die Nacht . . .«, stammelte sie. Sie wusste ja noch immer nicht genau, was wirklich zwischen ihnen beiden vorgefallen war. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie sich geküsst hatten. Und dann war sie plötzlich nackt in Meikes Bett aufgewacht.
»Lass uns nicht davon sprechen. Was passiert ist, ist passiert. Das sollte doch nicht sofort wieder zwischen uns stehen, oder?« Meike klopfte mit ihrem Löffel rhythmisch auf den Tisch, was Franzi nur noch nervöser machte.
»Wenn ich wenigstens wüsste, was passiert ist.« Franzis Stimme klang kratzig.
»Ich . . .« Meike zögerte. »Ich weiß es auch nicht mehr genau.« Sie starrte auf den Tisch. »Aber selbst wenn mehr passiert sein sollte als ein Kuss – und das ist es bestimmt nicht – was würde das ändern?«
»Für mich ändert das einiges«, sagte Franzi. Konnte Meike wirklich so nüchtern an das Thema
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