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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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war, und es roch nicht überall nach Krankheit und Tod. Ich brauchte das ständige Geflimmer des Fernsehers hoch oben an der Wand nicht mehr zu ertragen, nachts schnarchte, stöhnte und murmelte niemand in meinem Zimmer, und ich konnte wieder Kaffee trinken statt Pfefferminztee und kriegte anständige Mahlzeiten statt Großküchenschonkost.
    Dann merkte ich, dass ich trotzdem nicht ausgeglichen war. Ständig nagte irgendeine Unruhe an mir. Ich konnte mich auf nichts längere Zeit konzentrieren, ich war vergesslich und nervös. Tagsüber gähnte ich dauernd, und wenn ich dann im Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. «Was geht dir denn da so im Kopf herum?», fragte Monika Gerritzen.
    «Keine Ahnung», sagte ich. «Alles Mögliche.»
    «Denkst du an deinen Bruder? Oder an die Todesopfer?»
    «Nee … eigentlich nicht. Also, manchmal schon. Aber nicht dauernd.»
    «Denkst du an deine Eltern?»
    «Ja. Schon. Ich mach mir Sorgen um meine Eltern.»
    «Denkst du an deinen Umzug nach Stuttgart?»
    Nur allein das Wort löste Herzklopfen bei mir aus. Ich schwieg ein paar Sekunden und guckte aus dem Fenster von Monika Gerritzens Praxis. Außer ein paar im Wind schwankenden Birkenästen war da nicht viel zu sehen. «Ich will nicht nach Stuttgart», sagte ich dann. Meine Stimme klang viel leiser, als ich sie haben wollte. So als hätte mir jemand das Kabel aus dem Verstärker gezogen.
    «Ich kann mit deiner Mutter reden, wenn du willst», bot Monika Gerritzen an.
    «Echt? Ja. Dann machen Sie das mal. Bitte.»

[zur Inhaltsübersicht]
    130
    B is Freitag reiße ich mich unvorstellbar am Riemen. Ich räume auf, ich mache Hausaufgaben, ich lerne, ich komme superpünktlich nach Hause, ich gehe um zehn ins Bett, ich frühstücke gehorsam und gebe keine einzige freche Antwort. Die Vier minus in Biologie werde ich erst am Wochenende beichten. Schließlich soll mein Vater mir nicht nur das Konzert erlauben – das könnte er mir jetzt auch gar nicht mehr verbieten, so grausam kann er nicht sein! –, sondern er soll auch mitkommen, denn der Veranstalter hat Moritz wissen lassen, dass er keine Fünfzehnjährigen auf die Bühne lässt, wenn sie ohne Erziehungsberechtigten auftauchen.
    Für meinen Vater ist das kein großes Opfer. Schließlich hat er früher selbst Musik gemacht, er hat immer noch einen ziemlich coolen Musikgeschmack – tausendmal besser als der Wiesner! –, und mal wieder in einen Club zu gehen, um einen Live-Gig zu hören, macht ihm garantiert total Spaß. Trotzdem darf ich mir natürlich nichts erlauben. Ich hab ja schon genug Minuspunkte gesammelt.
    Wir kommen gegen neun da an, als der Laden noch fast leer ist, und fangen sofort an, unser Equipment auf die Bühne zu tragen. Moritz hat sich dafür den Bus von einem Kumpel geliehen. Nachdem ich ungefähr siebenundachtzig Mal den Weg vom Parkplatz zum Bühneneingang gelaufen bin, immer mit mindestens zwanzig Kilo Ausrüstung bepackt, nehme ich mir vor, erst dann wieder live aufzutreten, wenn wir so berühmt sind, dass wir uns Roadies leisten können.
    Um halb elf machen wir einen Soundcheck. Besonders voll ist es immer noch nicht. Moritz erklärt mir, das wäre ganz normal und kein Grund zur Sorge, ich würde mich wundern, wie viele Leute da noch kämen. Ich bin trotzdem beunruhigt. Allerdings ist es letztlich egal, wie viele Menschen uns zuhören, ich hab so oder so feuchte Hände, erhöhten Blutdruck und zittrige Knie. Wir setzen uns an die Bar, pumpen uns mit Club-Mate voll und versuchen, das Lampenfieber wegzublödeln.
    Kurz vor Mitternacht ist der Schuppen plötzlich rappelvoll. Wir gehen hinter die Bühne und warten auf unser Zeichen. Ich hab alles vergessen. Mein Kopf ist eine aufgehängte Festplatte. Ich weiß nicht mal mehr, wie man einen C-Dur-Akkord greift. Kenji massiert meine Schultern, während ich mit hervorquellenden Augen ins Leere starre und die Katastrophe erwarte.

    S päter fand ich raus, dass Monika Gerritzen nicht nur mit meiner Mutter gesprochen hatte, sondern auch mit meinem Vater und sogar mit Uwe. Und ich nehme an, sie hat alle Tricks und Kniffe angewendet, die sie in ihrem Psychologiestudium, bei ihrer Zusatzqualifikation zur Systemischen Familientherapeutin und in sämtlichen Fort- und Weiterbildungen je gelernt hat. Jedenfalls wurde ein Termin in ihrer Praxis vereinbart, am Freitagabend um sieben, damit mein Vater daran teilnehmen konnte, der fürs Wochenende aus Berlin angereist kam.
    Eigentlich war gar nicht mehr viel

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