Klausen
entnervt, denn Badowsky war unterdessen ziemlich laut geworden (er stand ja auch schon halb auf seinem Tisch). Auer schwieg. Das ist nämlich sonst doch alles Unsinn, rief Badowsky, und deshalb gibt es nichts, und deshalb, mein lieber Herr Professor in der Fachwissenschaft X, schreibt mein Freund Auer Gedichte, die nichts bedeuten. So ist es doch, Auer, so ist es doch … übrigens, ich habe kein Bier mehr. Kann mir denn keiner in dieser gottverdammten Wirtschaft ein Bier ausgeben? Scheiße (er drehte seine Hosentaschen nach außen). Dann kehrte für eine Weile Ruhe ein. Die Gespräche beschränkten sich wieder auf die einzelnen Tische. Jetzt endlich zog Gasser den Brief des deutschen Ministeriums aus seiner Tasche. Dieser an Auer gerichtete Brief war anGassers Adresse geschickt worden, weil Auer seit einiger Zeit keinen festen Wohnsitz hatte, mal schlief er auf der Ploderburg, mal bei Sonja oder Gasser, immer öfter aber schlief er auch jetzt im Sommer irgendwo draußen, keiner konnte genau sagen, wo, wahrscheinlich unterhalb des Klosters. Manchmal übernachtete er auch in einem kleinen Geräteschuppen auf der anderen Talseite. Allerdings hatte er seit neuestem auch eine winzige Kammer direkt über dem Keller . Gasser setzte sich zu Auer an den Tisch und legte ihm den besagten Brief hin. Leopold Auer betrachtete den Brief verwundert und nahm ihn nach einer Weile in die Hand, um ihn hin und her zu wenden und sich den Absender genauer anzusehen. Dann öffnete er ihn. Er las den Brief durch, mehrere Male, sein Gesicht verzog sich immer mehr, anschließend legte er den Brief wieder hin. Und, fragten mehrere, was sei dort geschrieben in diesem Brief? Auer schaute Gasser nachdenklich an. Dann stand er auf und setzte sich in eines der leeren Fässer. Niemand verstand diese Verhaltensweise, vor allem nicht Badowsky. Dieser nahm den Brief und las ihn durch, von oben bis unten, aber er schien ihn offenbar nicht recht zu begreifen. Und, fragte Moreth, was steht denn nun darin? Keine Ahnung, sagte der Deutsche. Er habe sich nicht darauf konzentrieren können, dieses ganze Zeug zu lesen, er habe schon dem ersten Satz nicht folgen können. Diese Sätze, überhaupt alles drücken diese Leute so eigenartig aus, geradezu unwirklich. Was sind das bloß für Menschen in diesen Beamtenstuben! sagteBadowsky. Er wolle damit nichts zu tun haben. Badowsky warf den Brief auf den Tisch. Er war nun über die Situation insgesamt verunsichert, er hatte nichts mehr zu trinken, Auer saß allein im Faß und wollte mit niemandem mehr sprechen, also atmete er tief durch, ließ einen abfälligen Blick über alle Anwesenden gleiten und ging dann. Was der Brief beinhaltete, klärte sich zunächst nicht auf, die Klausner erfuhren es erst viel später. Es wurde übrigens anschließend mehrfach behauptet, Auer habe an jenem Abend im Faß auf einer Serviette irgendeine Zeichnung begonnen, möglicherweise einen der pazzi , für die viele ihn im nachhinein am liebsten gesteinigt und gevierteilt hätten. Wann immer die Klausner später von Auer sprachen, erinnerten sie sich an Situationen, in denen Auer vermeintlich solche pazzi gezeichnet haben soll, aber erst, nachdem man seine Kammer oberhalb des Kellers aufgebrochen hatte. Es wurde sogar behauptet, Auer habe an jenem Abend dort im Faß den Bürgermeister gezeichnet, und zwar aus einer sehr genauen Erinnerung und Vorstellungskraft heraus, oder weil er am Nachmittag bei einer Rede des Bürgermeisters vor irgendeiner Innung gewesen sei, aber alles das waren unbewiesene Behauptungen. Es wurden Auer später trotz seinem Krankenweg, oder gerade deshalb, alle möglichen Dinge angehängt, er wurde zu einem Katalysator des Geschehens gemacht, und spätestens mit dem Aufbrechen seiner Kammer hatte man in ihm einen der Hauptschuldigen gesehen, einen, der vor allen anderen Vergiftungen und Unfriedenin die Gemeinschaft gebracht und für den Terror den geistigen und ästhetischen Nährboden geliefert habe. Dabei war Auer eine völlig unschuldige Person, die bis zum Schluß nicht recht begriffen hatte, wie ihr eigentlich geschah, als sie hinter der Klausner Auffahrt auf den Autobahnviadukt gelaufen war. Auer wollte oder bezweckte mit seinen Servietten nie etwas Böses, er sah sich als Künstler vollkommen unabhängig. Auf Schloß Sigmundskron hängt heute eine Serviette, die den Bürgermeister als pazzo zeigt, sie ist für jeden zu sehen, heute, da Auer ein Aushängeschild des Eisacktals ist. Diese Serviette trägt aber
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