Klausen
Sie, gerade nachts, wie viele von denen schreiben. Sie sitzen da mit irgendwelchen Blättern oder auch Schulheften, sie rauchen und haben keine Socken an, und mit gewichtiger Miene schreiben sie etwas, das sieht man jede Nacht. Alle diese Leute halten sich für Dichter oder sogar für Wissenschaftler, für Mathematiker, und dann springen sie plötzlich auf und halten ihre Reden ans Volk, irgendwo stehen sie herum, an einem Automaten oder auf einer Bank, und plötzlich halten sie ihre Reden. Er las nun. Dann gab er dasPapier wieder zurück. Und, fragte Badowsky … Professor Klein sagte, er habe leider nichts entziffern können, die Schrift sei undeutlich. Das stimme, sagte Badowsky. Auch er habe nichts lesen können. Auer sei wirklich sehr betrunken gewesen, als er das geschrieben habe. Aber er glaube an Auer. So, sagte Klein, um sich nun endgültig von dem Deutschen, der ihn vollkommen anwiderte, abzuwenden. Ich habe, sagte Badowsky, noch mehr von diesen Zetteln, warten Sie. Jetzt verschonen Sie mich aber, rief Klein. Klein war jetzt sehr erregt, geradezu wütend, er stand fast. Seit zwanzig Minuten rede er auf ihn ein, dabei sei er lediglich betrunken, er soll nach draußen auf die Straße gehen und dort seine Reden halten, ihn, Klein, aber in Ruhe lassen, er hoffe, er habe sich endlich deutlich genug ausgedrückt. Badowsky lachte und schaute Klein freundlich und begeistert ins Gesicht. Er ist auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gedruckt mit seinen Gedichten, wußten Sie das? Klein, sich sehr matt fühlend: Nein, habe er nicht gewußt. Badowsky: Und er zeichnet auch. Er zeichnet alle die Gesichter hier, alle Klausner, das wußten Sie etwa auch nicht? Klein: Nein, auch nicht. Badowsky: Er könnte daraus ein Buch machen, aber er will, glaube ich, nicht. Flüsternd: Er ist ein Großer, aber das weiß keiner. Klein: Aha. Badowsky: Mich wundert es, daß er alles das so wertlos behandelt, als sei es nichts, gar nichts, ich glaube sogar, am liebsten wirft er die Sachen alle weg, er möchte gar nichts mit ihnen zu tun haben. Er möchte eigentlich überhaupt nichts mit solchen Sachenzu tun haben, er ist offenbar völlig darüber hinaus. In der Tat, Auer ist darüber hinaus. Er ist bereits ganz woanders angekommen. Deshalb sind seine Gedichte ja auch nicht zu verstehen, weil er nämlich ganz woanders angekommen ist. Im Unverständlichen. Das Unverständliche erst ist das Verständliche, das habe er, Badowsky, schon immer gewußt. Klein: So, das haben Sie gewußt. Badowsky: Ja, klar, deshalb bin ich ja auch kein Professor geworden. Ja, sagte Klein, da haben Sie recht. Badowsky sprach nun weiter von Auer, seinen Gedichten und Zeichnungen, dem Verständlichen und dem Unverständlichen, dem Gescheiterten und all denen, die nicht gescheitert seien und von daher sowieso das Erbärmlichste auf der Welt überhaupt darstellten (zum Beispiel die Professoren), er verfing sich immer mehr in einer andauernden, völlig inhaltslosen Apologie Auers und gewisser unverständlicher Dinge. Er sagte, er habe sich anfänglich gefragt, was sollen die Gedichte Auers bedeuten. Dann habe er sie verstanden. Sie bedeuten gar nichts. Aber es sind doch Gedichte, entgegnete Klein, also müssen sie auch etwas bedeuten. Badowsky schlug sich vor Lachen auf die Schenkel und machte ein Gesicht wie ein fröhlicher Gaul. Das ist genau die Kunst, rief Badowsky, die Kunst ist es, ein Gedicht zu schreiben, das gar nichts bedeutet. Er sah Klein erwartungsvoll an. Auer kam wieder in den Raum zurück. Nein nein, alles bedeutet etwas, sagte Professor Klein gewissenhaft. Badowsky: Das sagen Sie! Hör dir das an, Auer, was dieser Professor für X da sagt. Allesbedeute etwas. Haha, dabei verstehe ich ja nicht mal, was dieser Satz bedeuten soll, nämlich daß alles etwas bedeutet. Erklären Sie mir ihn doch! Klein: Natürlich hat alles eine Bedeutung. Und wenn etwas gerade eine solche Bedeutung verweigert, dann … dann … Dem Professor wurde nun bewußt, daß nichts falscher wäre, als dem betrunkenen Vagabunden gegenüber zu argumentieren. Dieser aber begeisterte sich nun immer mehr an seinen eigenen Sätzen. Nichts zu bedeuten sei der größtmögliche Zweck! Soweit habe er Auer verstanden, nämlich daß nichts eine größere künstlerische Leistung voraussetzt, als nichts zu bedeuten. Das Nichts, der eigentliche Zweck. Alles weg. Alles in den Orkus, haha, rief Badowsky und klatschte fröhlich in die Hände. Alle schauten ihn entgeistert an, einige auch
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