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Klausen

Klausen

Titel: Klausen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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ein ganz anderes Datum. Auer hatte sie schon ein Jahr vor dem vermuteten Abend gezeichnet. Alles bestand demnach aus boshafter Nachrede, auch wenn es für die allermeisten die ausgemachte Wahrheit war. Man hätte Auer damals auch nicht ernstgenommen, sondern ihn für einen gewöhnlichen Dorfblödian gehalten, wenn er nicht bereits zahlreiche Gedichte in renommierten deutschen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht hätte (sein bekanntestes Gedicht war ein Langgedicht, etwa dreißig Verse, es hieß *** , heute eine Art Nationalhymne der Klausner, selbst der Bürgermeister kann neuerdings daraus zitieren). Auer hatte sich dadurch schon zu Lebzeiten einen gewissen Ruf erworben. Man verstand ihn nicht, aber man tröstete sich damit, daß ihn andere verstünden (also die Zeitungsredakteure), und die, sagten sich die Klausner, könnten das ja auch viel besser beurteilen als sie, die Klausner, selbst. Auer schrieb seine Gedichte damals meistensfür ein Viertel Wein. Das kam allen kurios vor (heute schmücken sie sich damit, wenn sie zwei Tische von ihm entfernt in derselben Wirtschaft gesessen haben, und erzählen ihre Anekdoten). Die meisten bewahrten Auers Verse damals nicht einmal auf, was sie nun für eine philologische Katastrophe halten, denn Auer ist heute sogar dem Einvernehmen des Landeshauptmanns nach der wichtigste und berühmteste Dichter, den das Eisacktal jemals hervorgebracht hat, allerdings ist er freilich auch schon längst verstorben (Leberembolie, offiziell hieß es: wegen verschleppter Gelbsucht). Und selbst wenn Auer, der einstige angebliche Rebell, heute von den Klausnern per Erinnerung und Gedenken und Ausstellungen und Seminaren etcetera hofiert wird, so ist er doch, besonders wegen der damaligen Ereignisse, nach wie vor höchst umstritten, und gegenwärtig streiten sich die Klausner, ob die Schule am Eisack in Leopold-Auer-Gymnasium umbenannt werden soll, die einen sind heftig dafür, die anderen mindestens ebenso heftig dagegen. Gasser und Sonja verließen nach einer Weile den Keller . Dieser Abend im Keller wurde später für wichtig und grundlegend gehalten und immer wieder neu erzählt, bis er völlig verfälscht war, auch dem Gespräch zwischen dem Professor und seinem Assistenten über Ökonomie, Dialektik und Nietzsche (einen weiteren geistigen Brandstifter) und den Ausführungen Badowskys über das Nichts und die Unverständlichkeit wurde eine Bedeutung und Eindeutigkeit unterstellt, die wie nahezu alles in Klausen eine rückwärtigeInterpretation war, eine Erkenntnis post festum ; das ist eine für die Klausner entscheidende Erkenntnisweise, die allerdings völlig sinnlos ist, weil sie nur Unsinn zeitigt, in Klausen ebenso wie sonst in der Welt auch. Gasser und Sonja liefen vom Keller zum Eisack, spazierten eine Weile hin und her, dann setzten sich beide auf eine Bank auf dem Platz vor ihrer alten Schule, hundert Meter neben der Brücke, dem jenseits des Flusses gelegenen Hang gegenüber. Auf allem lag gelbes Licht, weil in Klausen wegen der Touristen alles permanent angestrahlt wird, damit man die berühmten und malerischen Bauwerke von der Autobahn aus sehen kann, auf daß man sich entschließe, demnächst in Klausen einzukehren und dort sein Geld zu lassen. Und während Sonja und Gasser auf der Bank saßen, wurden sie Zeugen einer Begebenheit, die am nächsten Morgen und in den folgenden Tagen ebenfalls auf sehr verschiedene Weise in Klausen erzählt wurde, einer Begebenheit, die sich im nachhinein als Beginn einer ganzen Reihe von gewalttätigen Zusammenstößen darstellte und dementsprechend die Polizei beschäftigte. Es gab zwar keine Verhaftungen, jedoch wurden am nächsten Morgen die Personalien etlicher Leute festgestellt, auch Sonjas, und es gab einige Vorladungen. Gassers Name wurde hierbei zunächst nicht genannt, denn tatsächlich wurden er und Sonja von der ganzen Angelegenheit ebenso überrascht wie die meisten anderen auch. Dieser Zusammenstoß dort auf dem Platz vor der Schule wird nur verständlich, wenn man einige Tage in die Vergangenheitzurückblickt. Wenige Tage zuvor hatte nämlich im Gemeindesaal eine Gemeinderatssitzung stattgefunden, in der die Fraktion der Partei X einen schon vorher lange in der Klausner Öffentlichkeit diskutierten Antrag einbrachte, welcher zum Wortlaut hatte, daß infolge des in den letzten Jahren stetig erhöhten Transitverkehrs auf der Brennerautobahn (besonders im Schwerlasttransportbereich , wie es im Antrag hieß) und des damit

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