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Klausen

Klausen

Titel: Klausen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Brief auf dem Boden, vollkommen vergessen… . Mitten im Getümmel, so behaupteten später einige, sei plötzlich Gasser erschienen. Niemand konnte das bestätigen, aber die Rede hielt sich hartnäckig, daß Gasser anwesend gewesen sei, sich für eine Weile am Rand der Veranstaltung aufgehalten habe, alles aus einer gewissen Distanz beobachtend, und er habe sogar mit dem einen oder anderen geredet, ganz so, als gebe er gewisse Anweisungen. Allerdings stellte sich später heraus, daß dieser Gasser, der dort erschienen sein soll, ein bloßes Wahngebilde war, eine aus dem Abend in den Mittag vorgezogene Epiphanie. Die Menschen glauben ja auch an Marienerscheinungen. Wenn man behauptet, die Jungfrau Maria gesehen zu haben, werden alsbald Menschen kommen,die einem unbedingt Glauben schenken, und diese wiederum werden dann eifrig gegen die zu streiten beginnen, die ihrerseits die Marienerscheinungen leugnen, man kennt das. Auf gleiche Weise sahen sie dort vor der Burg Josef Gasser. Die Erscheinung ist die höchste Form des Gerüchts, und der, der solche Erscheinungen hat, ist natürlich immer unwiderlegbar (man kann ihm nur glauben oder nicht). Sie behaupteten sogar, Gasser habe maßgeblich dazu beigetragen, daß sich die Demonstration aufgelöst habe und die Menschen endlich nach Hause gegangen seien; und wenn sie es auch nicht mit eigenen Augen gesehen hatten, so hatten sie es doch wenigstens erzählt bekommen. Nach dem Ende der Demonstration vor der Ploderburg fuhr eine Gruppe Richtung Elvas zum Guggerhof hinauf, um dort etwas Kräftiges zu sich zu nehmen. Gruber war dabei, Paolucci, auch Auer, der etwa fünf oder sechs Nusseler trank, ziemlich grüne Nusseler, in sehr kurzer Zeit, und natürlich aß er nichts. Gegen neunzehn Uhr fanden sich immer mehr Menschen im Bürgersaal ein. Ein Wort zum Klausner Bürgersaal, auf daß man eine Vorstellung davon bekommt, wie man sich eine solche Veranstaltung des Volksbildungsvereins auszumalen hat. Es handelt sich um einen ehemals modernen Saalbau aus den frühen achtziger Jahren mit angeschlossenem Restaurant, gebaut in einer Architektur, die allerdings noch in die siebziger Jahre gehört. Der Saal ist fensterlos, er hat Trennwände, die man beiseite schieben kann, vorne ist eine karge Holzmetallbühne errichtet, und die Bestuhlungbesteht aus einzelnen, ineinander zu verhakenden Stühlen, die eine grüne Polsterfläche haben. Der Saal ist ansonsten völlig kahl. Sein sinnloser Funktionalismus (die Trennwände etwa sind nie für irgend etwas benutzt worden, auch die erweiterbare Bühne ist natürlich nie erweitert worden) entstammt einer Zeit, in der architektonisch alles funktional sein sollte, auch wenn überhaupt niemand diese Funktionen jemals brauchte oder auch nur haben wollte. Tatsächlich sind alle diese Gemeinden, die sich damals solche Gemeindesäle gebaut haben, heute ganz und gar entgeistert über diese Säle und reißen sie nur deshalb nicht wieder ab, um sich nicht vollends zu blamieren. Sie loben sogar diese Gemeindesäle bis heute … (auf Pareiths Bild Stadtansicht Klausens war der Klausner Bürgersaal freilich nicht zu sehen, statt seiner sah man eine Wiese). Ein solcher Saal also ist der Gemeindesaal in Klausen. Einige saßen bereits auf ihren grünen Sitzpolsterstühlen, andere tranken im Restaurant Bier, Wein oder Schnaps, wieder andere bedienten sich am Getränkebuffet im Vorraum. Nicht wenige standen vor den mehrfach aufgehängten Plakaten des Volksbildungsvereins und lasen den Titel des heutigen Vortrags:

Der moderne Wirtschaftsraum im Lichte
    der philosophischen Ethik, unter besonderer
    Berücksichtigung der autonomen Provinzen.
    Der Titel schien ihnen wuchtig, prächtig, vor allem wissenschaftlich, er weckte gewisse Erwartungen, aber viele hätten die Erwartungen, die er in ihnen
     weckte, ebensowenig in Worte fassen können wie die Fragen, die sich aufdrängten, denn freilich blieb den meisten der Titel recht nebulös. Moderner
     Wirtschaftsraum, darunter konnte man sich zwar irgend etwas vorstellen, das Wort Raum (Wirtschafts raum ) klang selbst schon modern, es klang nach
     etwas scheinbar ganz Bestimmtem, man kannte das (denn alle benutzten dieses Wort Raum neuerdings für die verschiedensten Dinge), aber man fühlte
     sich doch etwas unsicher dabei, wenn man genauer darüber nachdachte. Philosophische Ethik, dieser Ausdruck war den allermeisten sehr unklar. Unter dem
     Wort Philosophie konnten sich nur wenige der Besucher etwas Deutliches

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