Klausen
diesen Vortrag zu halten. Er redete und redete, es dauerte Minuten, denn er setzte immer wieder mit diesem und jenem an,
obgleich alles, was er sagte, aus völlig leeren Phrasen bestand. Und nun also Bühne frei, sagte Passler, für unseren Referenten, ich freue mich, und
freuen Sie sich, hochverehrteGäste, mit mir. Bitte sehr! Darauf trat er von der Bühne. Allerdings kam er mit einem noch viel treueren
und freundlicheren Blick sogleich ein weiteres Mal auf die Bühne zurück und rief: Da habe ich ja ganz vergessen zu sagen, was wir heute hören, obwohl, Sie
wissen es ja alle von den Plakaten, aber ich sag es nochmal, damit es auch ein jeder hier weiß … Unser lieber Magister Zanetti spricht heute abend
über … (er hatte jetzt einen Zettel in der Hand) … sehen Sie, das ist doch wichtig, daß ich das noch sage, denn … (absolute Ungeduld im
Publikum) … denn die Ankündigung stimmt nämlich nicht mehr, es hat sich so ergeben, daß der Herr Doktor Zanetti (jetzt war aus dem Magister ein Doktor
geworden) … daß also unser lieber Doktor Zanetti heute nicht über den hiesigen Wirtschaftsraum und die Kultur und so weiter spricht, sondern daß er
uns einen ganz Bekannten näherbringt, einen deutschen Philosophen, dessen Name bei uns wohl gar geläufig ist, wir haben ja auch in Klausen einen, auch
wenn ich ihn gerade nicht sehe … (er verhedderte sich vollends). Jemand: Wie lautet denn nun der Vortrag? Ein anderer: Wieso spricht er nicht über die
Wirtschaft? Ein dritter: Wir haben etwas über die Probleme hier erwartet. Er soll zu den Problemen sprechen! Passler schaute mit zusammengekniffenen Augen
ins Publikum. Er hatte keine Ahnung, von welchen Problemen plötzlich die Rede war. Nun, sagte er, das hat sich so ergeben … der Wissenschaftler … manchmal ändert er sein Thema … aber wir sind gespannt und freuen uns alsoauf einen Vortrag über das Thema (mit Schwung
lesend:)
Ontologie und Bewußtsein. Thesen zu Heidegger.
Damit war Passler endgültig von der Bühne. Manche Leute standen überrascht auf und machten ihrem Unmut Luft, denn sie verstanden nicht, was das alles bedeuten sollte, sie fühlten sich verunsichert. Nun ging sogar das Licht wieder an, man konnte nicht sagen, warum. Die Deutschen saßen verwirrt in den vorderen Reihen und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Die Klausner dagegen diskutierten. Uns interessiert diese Ontologie oder wie sie heißt nicht, rief jemand ganz laut. Dann sagte wer, es ist doch ganz gleich, wie das Thema laute, es gehe doch vielmehr gerade darum, daß dieser Zanetti redet, und Aufklärung werden wir auch so bekommen, denn er wird zu der ganzen Angelegenheit etwas sagen, da kann man sich doch sicher sein. (Viele redeten seit einigen Tagen in diesen ungewissen Formeln, sprachen von der ganzen Sache oder der Angelegenheit insgesamt , denn sie konnten nichts konkretisieren, sie erwarteten nur ständig etwas, wenn auch sicherlich nicht das, was dann eintrat.) Übrigens konnten die ganzen wirren Szenen in diesem Moment nach der Begrüßung Passlers und der Ankündigung des Redners nur deshalb stattfinden, weil Saverio Zanetti nicht schnell genug auf der Bühne erschien. Das heißt, er erschien sogar vorläufig gar nicht. Minutenlang geschah nichts, niemandtrat auf die Bühne, alle redeten, und dann ging das Licht wieder aus, allerdings ohne daß Zanetti erschienen wäre. Die Leute redeten im Halbdunkel weiter. Während vorne die Deutschen wieder aggressiver wurden, auf die Veranstaltung zu schelten begannen und lauthals forderten, daß man ihnen wenigstens den angekündigten Wein ausschenken soll, wenn schon kein Vortrag stattfinde, standen in den hinteren Reihen mitten unter den Klausnern plötzlich einige völlig unbekannte Menschen herum. Diese Unbekannten hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den Touristen in den ersten Reihen. Bei den Touristen vorne im Saal handelte es sich nämlich ausschließlich um Seniorengruppen oder Ehepaare. Im nachhinein wußte niemand, wo diese unbekannten Leute plötzlich hergekommen waren. Manchem schien, als hätte er den einen oder anderen am Mittag auf der Demonstration vor der Ploderburg gesehen, aber das konnte bloße Einbildung sein. Die Unbekannten dort hinten taten eigenartig unauffällig, obgleich sie sehr hemmungslos aussahen. (Später konnte niemand mehr sagen, ob es sich damals nur um eine einzige Gruppe gehandelt hatte oder ob sich gleich mehrere solcher Gruppen in Klausen herumgetrieben
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