Klausen
hatten. Es wurde nie völlig geklärt.) Nun geschahen mehrere Dinge gleichzeitig, die in keiner Weise zu erwarten waren, die aber auch gar nicht weiter auffielen, obgleich sie sich doch sehr seltsam ausnahmen und die Polizei später besonders interessierten. Unter den Deutschen war es nämlich wieder laut geworden, die Stimmung war nun sehrangeheizt, sie wollten schon aufstehen und gehen, aber irgendwer da vorne überzeugte sie doch, lieber sitzen zu bleiben, der Vortrag werde sicher bald losgehen, das werde mit Bestimmtheit ein Ereignis, er selbst sei ganz und gar gespannt. Es handelte sich um eine Person, die schon zu Beginn von Passlers Begrüßung besonders laut und dreist gelacht und möglichst viel Lärm mit ihrem Glas gemacht hatte, so daß auch die anderen immer unruhiger geworden waren. Diese Person stand jetzt plötzlich auf und lief nach hinten. Es handelte sich um Badowsky. Er trug diesmal nicht sein Hemd, sondern eine Jacke, und seine Haare waren eigenartigerweise zur Seite gekämmt. Daher hatte man ihn die ganze Zeit nicht erkannt. Viele meinten später, er habe sich mit Bedacht vorne unter die Deutschen gemischt, und zwar, um dort eine möglichst unruhige Stimmung zu schaffen. Wenn das tatsächlich sein Plan gewesen war, dann war er voll aufgegangen. Nun lief er also nach hinten und verschwand unvermittelt zwischen den Trennwänden. Er trat aber gleich wieder nach vorne, denn nun geschah noch etwas. Gasser erschien. Er stand dort hinten an der Wand und schaute mit einem sehr eigenartigen Gesichtsausdruck in den Raum hinein, ebenso konzentriert wie verwirrt. Zuerst sah ihn niemand. Dann erkannte ihn Badowsky. Badowsky wollte auf ihn zugehen, runzelte dann aber die Stirn und blieb stehen, ohne Gasser aus den Augen zu lassen. Dieser merkte nichts davon. Jetzt endlich kam Zanetti in den Raum. Alle Blicke folgten ihm, wie er mit seinem Manuskriptin den Händen an den Stuhlreihen vorbeischritt, und weil alle nur auf ihn achteten, blieb Gasser fast ganz unbemerkt. Dieser schaute sich nun um und erkannte Badowsky. Badowsky machte erneut Anstalten, auf ihn zuzugehen, hielt aber wieder sofort in seiner Bewegung inne, denn Gasser machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, allerdings ohne in Badowskys Richtung zu schauen. Dieser wirkte etwas ratlos und blickte auf seine Uhr. (Alles das war für die, die es gesehen hatten, später schwer zu rekonstruieren. Was hier geschah, konnte natürlich alles und nichts bedeuten. Allerdings ergriff viele noch lange später eine eigenartige Spannung, wenn sie sich an diesen Moment erinnerten.) Gasser war im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden, vielleicht nicht einmal durch eine Hintertür, sondern durch die Saaltür, ohne daß man es bemerkt hatte, denn die Tür ging immer noch sehr oft auf und zu. Auch die Unbekannten waren plötzlich verschwunden, ebenso Badowsky. Zanetti war nun endlich vorne auf der Bühne. Man hatte fast zehn Minuten auf ihn gewartet, Passler saß sehr unruhig da. Dann sprang er allerdings auf, trat zur Bühne und sagte, Herr Doktor Zanetti sei nun also da, er entschuldige die geringe Verspätung; aber alleweil lustig weiter und frisch ans Werk etcetera . Dann nahm er wieder Platz. Zanetti setzte sich, rückte den Stuhl zurecht, blickte für einen Moment den Projektor an, den man aufgestellt hatte, ohne daß er benötigt wurde, dann ordnete er ein wenig umständlich sein Manuskript. Anschließendblickte er interessiert in die Zuschauermenge und räusperte sich. Endlich, rief man. (Durcheinander:) Der andere war also nicht der Vortragende. Nein, das ist der Vortragende. Und wer war der andere etcetera . Zanetti bemerkte die allgemeine Unruhe und schaute streng ins Publikum, vielleicht ein wenig zu streng, das wirkte auf einige arrogant. Dann räusperte er sich erneut. Die Spannung war nun auf ihrem Höhepunkt, alle erwarteten Zanettis erste Worte. Meine Damen und Herren, begann er, sehr verehrte Mitglieder … Aber weiter kam er nicht. Plötzlich trat nämlich Stadtrat Moreth einige Schritte nach vorne und rief: Herr Zanetti, es heißt, Sie seien Mitglied in einer, ich möchte sagen, im weitesten Sinne politischen Vereinigung, die sich zum Zweck gesetzt hat, sehr konkret gewisse Gegebenheiten unseres Landes und der Gesellschaft … eigentlich unserer Zivilisation überhaupt … ganz im allgemeinen anzugreifen und … sie also mit allen Mitteln anzugreifen. Was meinen Sie denn damit, fragte Zanetti offenbar völlig erstaunt. Nun, rief
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