Kleider machen Leute
Rauchsäulen, die gol-
denen Turmknöpfe funkelten lockend aus den Baumwipfeln,
Glück, Genuß und Verschuldung, ein geheimnisvolles Schick-
sal winkten dort; von der Feldseite her aber glänzte die freie
Ferne; Arbeit, Entbehrung, Armut, Dunkelheit harrten dort,
aber auch ein gutes Gewissen und ein ruhiger Wandel; dieses
fühlend, wollte er denn auch entschlossen ins Feld abschwen-
ken. Im gleichen Augenblicke rollte ein rasches Fuhrwerk
heran; es war das Fräulein von gestern, welches mit wehen-
dem blauen Schleier ganz allein in einem schmucken leichten
Fuhrwerke saß, ein schönes Pferd regierte und nach der Stadt
fuhr. Sobald Strapinski nur an seine Mütze griff und dieselbe
demütig vor seine Brust nahm in seiner Überraschung, ver-
beugte sich das Mädchen rasch errötend gegen ihn, aber über-
aus freundlich, und fuhr in großer Bewegung, das Pferd zum
Galopp antreibend, davon.
Strapinski aber machte unwillkürlich ganze Wendung und
kehrte getrost nach der Stadt zurück. Noch an demselben Tage
galoppierte er auf dem besten Pferde der Stadt, an der Spitze
einer ganzen Reitergesellschaft, durch die Allee, welche um die
grüne Ringmauer führte, und die fallenden Blätter der Linden
tanzten wie ein goldener Regen um sein verklärtes Haupt.
Nun war der Geist in ihn gefahren. Mit jedem Tage wan-
delte er sich, gleich einem Regenbogen, der zusehends bunter
wird an der vorbrechenden Sonne. Er lernte in Stunden, in
Augenblicken, was andere nicht in Jahren, da es in ihm ge-
steckt hatte wie das Farbenwesen im Regentropfen. Er beach-
tete wohl die Sitten seiner Gastfreunde und bildete sie wäh-
rend des Beobachtens zu einem Neuen und Fremdartigen um;
besonders suchte er abzulauschen, was sie sich eigentlich unter
ihm dächten und was für ein Bild sie sich von ihm gemacht.
Dies Bild arbeitete er weiter aus nach seinem eigenen Ge-
schmacke, zur vergnüglichen Unterhaltung der einen, welche
gern etwas Neues sehen wollten, und zur Bewunderung der
anderen, besonders der Frauen, welche nach erbaulicher An-
regung dürsteten. So ward er rasch zum Helden eines artigen
Romanes, an welchem er gemeinsam mit der Stadt und liebe-
voll arbeitete, dessen Hauptbestandteil aber immer noch das
Geheimnis war.
Bei alldem erlebte Strapinski, was er in seiner Dunkelheit
früher nie gekannt, eine schlaflose Nacht um die andere, und
es ist mit Tadel hervorzuheben, daß es ebensoviel die Furcht
vor der Schande, als armer Schneider entdeckt zu werden
und dazustehen, als das ehrliche Gewissen war, was ihm den
Schlaf raubte. Sein angeborenes Bedürfnis, etwas Zierliches
und Außergewöhnliches vorzustellen, wenn auch nur in der
Wahl der Kleider, hatte ihn in diesen Konflikt geführt und
brachte jetzt auch jene Furcht hervor, und sein Gewissen war
nur insoweit mächtig, daß er beständig den Vorsatz nährte,
bei guter Gelegenheit einen Grund zur Abreise zu finden und
dann durch Lotteriespiel und dergleichen die Mittel zu ge-
winnen, aus geheimnisvoller Ferne alles zu vergüten, um was
er die gastfreundlichen Goldacher gebracht hatte. Er ließ sich
auch schon aus allen Städten, wo es Lotterien oder Agenten
derselben gab, Lose kommen mit mehr oder weniger beschei-
denem Einsatze, und die daraus entstehende Korrespondenz,
der Empfang der Briefe, wurde wiederum als ein Zeichen
wichtiger Beziehungen und Verhältnisse vermerkt.
Schon hatte er mehr als einmal ein paar Gulden gewonnen
und dieselben sofort wieder zum Erwerb neuer Lose verwen-
det, als er eines Tages von einem fremden Kollekteur, der sich
aber Bankier nannte, eine namhafte Summe empfing, welche
hinreichte, jenen Rettungsgedanken auszuführen. Er war be-
reits nicht mehr erstaunt über sein Glück, das sich von selbst
zu verstehen schien, fühlte sich aber doch erleichtert und be-
sonders dem guten Waagwirt gegenüber beruhigt, welchen er
seines guten Essens wegen sehr wohl leiden mochte. Anstatt
aber kurz abzubinden, seine Schulden gradaus zu bezahlen
und abzureisen, gedachte er, wie er sich vorgenommen, eine
kurze Geschäftsreise vorzugeben, dann aber von irgendeiner
großen Stadt aus zu melden, daß das unerbittliche Schicksal
ihm verbiete, je wiederzukehren; dabei wolle er seinen Ver-
bindlichkeiten nachkommen, ein gutes Andenken hinterlas-
sen und seinem Schneiderberufe sich aufs neue und mit mehr
Umsicht und Glück widmen oder auch sonst einen anständi-
gen Lebensweg erspähen. Am liebsten wäre er freilich
Weitere Kostenlose Bücher