Kleider machen Leute
sanfter Festigkeit trat ihm Nettchen
entgegen. Sie dankte ihrem Vater mit Rührung für alle ihr
bewiesene Liebe und Güte und erklärte sodann in bestimm-
ten Sätzen erstens, sie wolle nach dem Vorgefallenen nicht
mehr in Goldach leben, wenigstens nicht die nächsten Jahre;
zweitens wünsche sie ihr bedeutendes mütterliches Erbe an
sich zu nehmen, welches der Vater ja schon lange für den Fall
ihrer Verheiratung bereitgehalten; drittens wolle sie den Wen-
zel Strapinski heiraten, woran vor allem nichts zu ändern sei;
viertens wolle sie mit ihm in Seldwyla wohnen und ihm da
ein tüchtiges Geschäft gründen helfen, und fünftens und letz-
tens werde alles gut werden; denn sie habe sich überzeugt, daß
er ein guter Mensch sei und sie glücklich machen werde.
Der Amtsrat begann seine Arbeit mit der Erinnerung,
daß Nettchen ja wisse, wie sehr er schon gewünscht habe, ihr
Vermögen zur Begründung ihres wahren Glückes je eher, je
lieber in ihre Hände legen zu können. Dann aber schilderte
er mit aller Bekümmernis, die ihn seit der ersten Kunde von
der schrecklichen Katastrophe erfüllte, das Unmögliche des
Verhältnisses, das sie festhalten wolle, und schließlich zeigte
er das große Mittel, durch welches sich der schwere Konflikt
allein würdig lösen lasse. Herr Melchior Böhni sei es, der be-
reit sei, durch augenblickliches Einstehen mit seiner Person
den ganzen Handel niederzuschlagen und mit seinem un-
antastbaren Namen ihre Ehre vor der Welt zu schützen und
aufrechtzuhalten.
Aber das Wort Ehre brachte nun doch die Tochter in grö-
ßere Aufregung. Sie rief, gerade die Ehre sei es, welche ihr ge-
biete, den Herren Böhni nicht zu heiraten, weil sie ihn nicht
leiden könne, dagegen dem armen Fremden getreu zu bleiben,
welchem sie ihr Wort gegeben habe und den sie auch leiden
könne!
Es gab nun ein fruchtloses Hin- und Widerreden, welches
die standhafte Schöne endlich doch zum Tränenvergießen
brachte.
Fast gleichzeitig drangen Wenzel und Böhni herein, welche
auf der Treppe zusammengetroffen, und es drohte eine große
Verwirrung zu entstehen, als auch der Rechtsanwalt erschien,
ein dem Amtsrate wohlbekannter Mann, und vorderhand zur
friedlichen Besonnenheit mahnte. Als er in wenigen vorläu-
figen Worten vernahm, worum es sich handle, ordnete er an,
daß vor allem Wenzel sich in den Wilden Mann zurückziehe
und sich dort stillhalte, daß auch Herr Böhni sich nicht ein-
mische und fortgehe, daß Nettchen ihrerseits alle Formen des
bürgerlichen guten Tones wahre bis zum Austrag der Sache
und der Vater auf jede Ausübung von Zwang verzichte, da die
Freiheit der Tochter gesetzlich unbezweifelt sei.
So gab es denn einen Waffenstillstand und eine allgemeine
Trennung für einige Stunden.
In der Stadt, wo der Anwalt ein paar Worte verlauten ließ
von einem großen Vermögen, welches vielleicht nach Seldwyla
käme durch diese Geschichte, entstand nun ein großer Lärm.
Die Stimmung der Seldwyler schlug plötzlich um zugunsten
des Schneiders und seiner Verlobten, und sie beschlossen, die
Liebenden zu schützen mit Gut und Blut und in ihrer Stadt
Recht und Freiheit der Person zu wahren. Als daher das Ge-
rücht ging, die Schöne von Goldach solle mit Gewalt zurückge-
führt werden, rotteten sie sich zusammen, stellten bewaffnete
Schutz- und Ehrenwachen vor den Regenbogen und vor den
Wilden Mann und begingen überhaupt mit gewaltiger Lust-
barkeit eines ihrer großen Abenteuer, als merkwürdige Fort-
setzung des gestrigen.
Der erschreckte und gereizte Amtsrat schickte seinen
Böhni nach Goldach um Hilfe. Der fuhr im Galopp hin, und
am nächsten Tage fuhren eine Anzahl Männer mit einer an-
sehnlichen Polizeimacht von dort herüber, um dem Amtsrat
beizustehen, und es gewann den Anschein, als ob Seldwyla ein
neues Troja werden sollte. Die Parteien standen sich drohend
gegenüber; der Stadttambour drehte bereits an seiner Spann-
schraube und tat einzelne Schläge mit dem rechten Schlegel.
Da kamen höhere Amtspersonen, geistliche und weltliche
Herren, auf den Platz, und die Unterhandlungen, welche all-
seitig gepflogen wurden, ergaben endlich, da Nettchen fest
blieb und Wenzel sich nicht einschüchtern ließ, aufgemuntert
durch die Seldwyler, daß das Aufgebot ihrer Ehe nach Samm-
lung aller nötigen Schriften förmlich stattfinden und daß ge-
wärtigt werden solle, ob und welche gesetzliche Einsprachen
während dieses Verfahrens dagegen
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