Kleider machen Leute
auch als
Schneidermeister in Goldach geblieben und hätte jetzt die Mit-
tel gehabt, sich da ein bescheidenes Auskommen zu begrün-
den; allein es war klar, daß er hier nur als Graf leben konnte.
Wegen des sichtlichen Vorzuges und Wohlgefallens, des-
sen er sich bei jeder Gelegenheit von seiten des schönen Nett-
chens zu erfreuen hatte, waren schon manche Redensarten
im Umlauf, und er hatte sogar bemerkt, daß das Fräulein hin
und wieder die Gräfin genannt wurde. Wie konnte er diesem
Wesen nun eine solche Entwicklung bereiten? Wie konnte er
das Schicksal, das ihn gewaltsam so erhöht hatte, so frevelhaft
Lügen strafen und sich selbst beschämen?
Er hatte von seinem Lotteriemann, genannt Bankier, ei-
nen Wechsel bekommen, welchen er bei einem Goldacher
Haus einkassierte; diese Verrichtung bestärkte abermals die
günstigen Meinungen über seine Person und Verhältnisse,
da die soliden Handelsleute nicht im entferntesten an einen
Lotterieverkehr dachten. An demselben Tage nun begab sich
Strapinski auf einen stattlichen Ball, zu dem er geladen war.
In tiefes, einfaches Schwarz gekleidet, erschien er und ver-
kündete sogleich den ihn Begrüßenden, daß er genötigt sei
zu verreisen.
In zehn Minuten war die Nachricht der ganzen Versamm-
lung bekannt, und Nettchen, deren Anblick Strapinski suchte,
schien, wie erstarrt, seinen Blicken auszuweichen, bald rot,
bald blaß werdend. Dann tanzte sie mehrmals hintereinan-
der mit jungen Herren, setzte sich zerstreut und schnell at-
mend und schlug eine Einladung des Polen, der endlich her-
angetreten war, mit einer kurzen Verbeugung aus, ohne ihn
anzusehen.
Seltsam aufgeregt und bekümmert ging er hinweg, nahm
seinen famosen Mantel um und schritt mit wehenden Locken
in einem Gartenwege auf und nieder. Es wurde ihm nun klar,
daß er eigentlich nur dieses Wesens halber so lange dageblie-
ben sei, daß die unbestimmte Hoffnung, doch wieder in ihre
Nähe zu kommen, ihn unbewußt belebte, daß aber der ganze
Handel eben eine Unmöglichkeit darstelle von der verzwei-
feltsten Art.
Wie er so dahinschritt, hörte er rasche Tritte hinter sich,
leichte, doch unruhig bewegte. Nettchen ging an ihm vor-
über und schien, nach einigen ausgerufenen Worten zu urtei-
len, nach ihrem Wagen zu suchen, obgleich derselbe auf der
anderen Seite des Hauses stand und hier nur Winterkohlköpfe
und eingewickelte Rosenbäumchen den Schlaf der Gerechten
verträumten. Dann kam sie wieder zurück, und da er jetzt
mit klopfendem Herzen ihr im Wege stand und bittend die
Hände nach ihr ausstreckte, fiel sie ihm ohne weiteres um den
Hals und fing jämmerlich an zu weinen. Er bedeckte ihre glü-
henden Wangen mit seinen fein duftenden dunklen Locken,
und sein Mantel umschlug die schlanke, stolze, schneeweiße
Gestalt des Mädchens wie mit schwarzen Adlerflügeln; es war
ein wahrhaft schönes Bild, das seine Berechtigung ganz allein
in sich selbst zu tragen schien.
Strapinski aber verlor in diesem Abenteuer seinen Verstand
und gewann das Glück, das öfter den Unverständigen hold ist.
Nettchen eröffnete ihrem Vater noch in selbiger Nacht beim
Nachhausefahren, daß kein anderer als der Graf der Ihrige
sein werde; dieser erschien am Morgen in aller Frühe, um bei
dem Vater liebenswürdig schüchtern und melancholisch, wie
immer, um sie zu werben, und der Vater hielt folgende Rede:
„So hat sich denn das Schicksal und der Wille dieses törich-
ten Mädchens erfüllt! Schon als Schulkind behauptete sie fort-
während, nur einen Italiener oder einen Polen, einen großen
Pianisten oder einen Räuberhauptmann mit schönen Locken
heiraten zu wollen, und nun haben wir die Bescherung! Alle
inländischen wohlmeinenden Anträge hat sie ausgeschlagen,
noch neulich mußte ich den gescheiten und tüchtigen Mel-
chior Böhni heimschicken, der noch große Geschäfte machen
wird, und sie hat ihn noch schrecklich verhöhnt, weil er nur
ein rötliches Backenbärtchen trägt und aus einem silbernen
Döschen schnupft! Nun, Gott sei Dank, ist ein polnischer
Graf da aus wildester Ferne! Nehmen Sie die Gans, Herr Graf,
und schicken Sie mir dieselbe wieder, wenn sie in Ihrer Po-
lackei friert und einst unglücklich wird und heult! Nun, was
würde die selige Mutter für ein Entzücken genießen, wenn sie
noch erlebt hätte, daß das verzogene Kind eine Gräfin gewor-
den ist!“
Nun gab es große Bewegung; in wenig Tagen sollte rasch
die Verlobung gefeiert
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