Kleine Abschiede
heiratet heute«, sagte er.
Er umrundete das Treppengeländer — nein, nicht um zu ihr zu gelangen (sie war
ihm bereits einen Schritt entgegengekommen); sondern um die Treppe
hinunterzugehen. »Wir verfahren wie geplant«, sagte er im Hinabgehen. »Sie wird
schon kommen.«
Delia schaute ihm übers Geländer
nach. Sie konnte oben durch sein helles Haar die Kopfhaut schimmern sehen. In
der Menge käme er mir vor wie ein abgearbeiteter, alternder Mann, dachte
sie. Aber eigentlich glaubte sie das selbst nicht.
Sie gab sich einen Ruck, drehte
sich um und verschwand in Elizas Zimmer.
Auch dort kam ihr alles anders
vor. Die Möbel waren dieselben, doch auf der Kommode lag kein einziger
Gegenstand, nur das altmodische schwarze Telefon stand auf dem Nachttisch. War
Eliza in ein anderes Zimmer umgezogen, oder was? Dies war vom ersten Tag an ihr
Zimmer gewesen.
Doch, hatte er gesagt. Wir
verfahren wie geplant, hatte er gesagt.
Sinnlos, jetzt darüber
nachzudenken. Delia stellte die Visitenkarte des Maklers auf den Nachttisch,
hob den Hörer ab und wählte.
»Hier spricht Joe Bright«,
erklärte ein Mann mit dünner Stimme. »Ich kann Ihren Anruf jetzt nicht
beantworten, doch nach dem Piepton können Sie mir eine Nachricht hinterlassen.«
»Mr. Bright, hier
spricht Delia Grinstead, Susan Grinsteads Mutter. Würden Sie mich bitte so bald
wie möglich zurückrufen? Es ist sehr wichtig. Meine Nummer ist...«
Als sie einhängte, hörte sie
unten die Türklingel. »Hallo, kommt herein«, sagte Sam, und danach hörte sie
eine leiernde, rauhe Roland-Park-Damen-Stimme. Auf der Stelle löste sich ihr
ganzes Selbstvertrauen in Luft auf. Sie trug nicht genug Make-up, und ihr Kleid
war nicht schick genug; und in Elizas Spiegel wirkte ihr Gesicht ungeformt und
kindlich.
Aber vielleicht bildete sie
sich das nur ein, denn als sie die Treppe hinunterkam (die Füße fest aufsetzte
und den Kopf sehr hoch hielt), sahen alle sie ausgesprochen respektvoll und
aufmerksam an. Der Pfarrer, ein Mann mit wirrem Haar im Tweedanzug sagte: »Mrs.
Grinstead! Welche Freude!«, und Driscolls Eltern unterbrachen ihr Schwätzchen
mit Sam.
»Welche Freude, Sie zu sehen,
Dr. Soames«, sagte sie. (Angesichts der Tatsache, daß sie nur an hohen
Feiertagen die Kirche betrat, beeindruckte es sie, daß sie seinen Namen noch
wußte.) »Hallo, Louise. Hallo, Malcolm.«
»Ach, Delia«, sagte Louise Avery,
als hätten sie sich gestern erst gesehen. Sie war eine Frau mit wettergegerbtem
Gesicht und einer goldblonden Löwenmähne, die sie aus dem Gesicht gebürstet
hatte. Ihr Mann — älter, kleiner, mit Fältchen um die Augen — sagte: »Du
hättest nicht ein bißchen Sonne mitbringen können?«
»Oh«, sagte Delia und schaute
an ihm vorbei zur Tür. »Regnet es?« fragte sie.
»Nein, nein, es hält sich
bestimmt noch«, sagte Louise. »Ich habe schon heute morgen zu Malcolm gesagt:
›Wenigstens ein Gutes, wenn man zu Hause heiratet.‹ Kannst du dir vorstellen,
sie würden mit allem Drum und Dran in der Kirche heiraten? Oder draußen im
Garten?«
»Nein, das kann ich mir gar
nicht vorstellen«, versicherte Delia.
Sie sah zu Sam hinüber; er
verstaute Dr. Soames’ zusammengerollten Regenschirm und erwiderte ihren Blick
nicht.
Vielleicht fände die Hochzeit
ohne die Braut statt. War das, was er vorhatte?
Im Wohnzimmer waren alle
verfügbaren Stühle aufgereiht. Sicher würde Dr. Soames vor dem Kamin stehen. Im
Eßzimmer stellten Linda und Eliza Platten mit Gebäck bereit. In der Küche
standen die Zwillinge hingerissen da und hörten Driscoll zu; er erzählte, was
sie in der Flitterwoche machen würden. »Susie, habe ich gesagt, laß uns bei
Obricky’s ‘ne Riesenportion Krabben futtern. Das ist dann unsere
Hochzeitsreise. Das paßt zu uns. Und sie: ›Wieso bestellen wir die Krabben
nicht gleich nach Hause?‹ Aber am Ende haben wir beschlossen, wir fahren drei
Tage nach — Oh, Mrs. Grinstead! Halli, hallo!«
»Hallo, Driscoll«, erwiderte
Delia. Sie war verwirrt, wie gutgelaunt er wirkte. Er trug einen dunkelblauen
Anzug und eine weiße Rose im Knopfloch; sein Gesicht leuchtete frisch, wie
abgerubbelt, ungetrübt. Sie sagte: »Ach, hast du schon... heute morgen mit
Susie gesprochen?«
»Oh, ich darf doch die Braut nicht
vor der Hochzeit sehen, Mrs. Grinstead!« meinte er und drohte mit dem Finger.
»Ja, aber vielleicht solltest
du mal mit ihr reden, telefonieren, meinetwegen«, riet Delia.
»Was Sie nicht sagen! Wo
stecken denn die
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