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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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— mintgrüne Spitze, die steif von ihren schmalen Körpern abstand —
schloß Delia: sie waren die Brautjungfern. Wie überdeutlich sie alles wahrnahm,
jede Einzelheit stach ihr unheimlich ins Auge; sie wußte nicht, warum. Sie
schaute immer wieder zu Susie hin, konnte sich nicht satt sehen am ungekämmten
Haar, dem weichen runden Kinn und ihrer weichen Unterlippe.
    Die andere junge Frau trug auch
mintgrüne Spitze. Driscolls Schwester, genau, das war sie. Spencer? Spence.
Driscoll Spence, Averys Schwester: Spence Driscoll Avery. »Bei meiner Cousine
war es ganz genauso«, sagte Spence gerade. »Ihr kennt doch alle meine Cousine
Lydia. Sie hat in St. David geheiratet; auf dem Weg zum Altar hat sie geheult
wie ein Schloßhund, aber jetzt weiß sie nicht wohin vor lauter Glück, und ihr
Mann ist ein hohes Tier in Washington, D. C.«
    »Was mich wahnsinnig macht«,
stöhnte Susie zu Delia (es klang wie »bahnsinnig«, ganz weinerlich), »wir haben
gerade einen Mietvertrag über zwei Jahre unterschrieben, für dieses
Schickimicki-Apartment am Hafen. Seit gestern abend versuche ich den Makler zu
erwischen, und immer ist nur der Anrufbeantworter dran. Ich will nicht
verraten, warum ich anrufe, sonst ruft er womöglich nicht zurück. Ich denke,
vielleicht kann ich mit ihm handeln... Drei Nachrichten habe ich hinterlassen;
ich habe ihm erklärt, daß es dringend sei; ich habe ihn gebeten, mich umgehend
zurückzurufen. Aber nichts! Jetzt ist es nach zehn, und er hat immer noch nicht
angerufen, und ich sitze bis in alle Ewigkeit mit dem verdammten Apartment da!«
    Sie jammerte in höchsten Tönen.
Ellie sagte: »Oje, oje... trink ein Schlückchen Tee, komm«, und Linda sagte:
»Großer Gott, Susie, der Makler ist jetzt doch wirklich unwichtig!«
    Aber Delia beruhigte Susie:
»Ich kümmere mich drum. Gib mir seine Telefonnummer, dann rufe ich ihn so lange
an, bis er dran ist.«
    »Machst du das?« fragte Susie. Sie
sprang auf und ging an die Kommode, die Decken rutschten hinter ihr her.
»Moment, gleich... Hier. Mr. Bright heißt er. Sag ihm, es tut mir leid und ich
weiß, ich habe zugesagt, aber er soll mich bitte, bitte wieder aus dem Vertrag
lassen, wenn er auch nur einen Funken Anstand besitzt.«
    »Vielleicht verlierst du deine
Anzahlung«, sagte Delia und betrachtete die Visitenkarte, die Susie ihr gegeben
hatte.
    »Delia! mein Gott, ehrlich!«
rief Linda. »Können wir endlich zur Sache kommen?«
    »Also, ich heirate nicht, Tante
Linda«, verkündete Susie, »darüber zu reden ist reine Zeitvergeudung. Hat
jemand meine Jeans gesehen?«
    Sie lief jetzt durchs Zimmer,
stöberte unter dem Bett, förderte ein T-Shirt zutage. Wie der Boden glänzte!
Das fiel Delia besonders auf. Dann erinnerte sie sich an die
Fußboden-Versiegelung letztes Jahr, während sie am Meer waren, und plötzlich
fühlte sie sich wie eine Außenseiterin. Sie setzte ihre Handtasche förmlich auf
ihre Knie, als wollte sie so wenig Platz wie möglich einnehmen. Doch Linda
forderte sie trotzdem auf: »Los, Delia, sag’s ihr.«
    »Was?«
    »Sag ihr, alle Bräute machen
das hier durch.«
    Taten sie das? Delia damals
nicht. Vor ihrer Hochzeit hatte sie nur eine Heidenangst gehabt, Sam könne
vielleicht sterben, bevor sie seine Frau war. Bräutigam am Polterabend tot
umgefallen, stand dann in der Zeitung, oder Tragischer Unfall auf dem
Weg zur Kirche, und das vollkommene Glück wäre ungenutzt an Delia
vorbeigegangen.
    Daß es vollkommen sein würde,
hatte sie keinen Augenblick bezweifelt.
    Susie zog sich an, das Gesicht
zur Wand, streifte sich ungeniert ihren Schlafanzug ab und hakte ihren
graueingefaßten Büstenhalter zu. (Gewöhnt an Umkleideräume beim Sport, hatte
sie keine Bedenken, sich vor aller Augen umzuziehen.) Ihr Rücken war
wunderschön braun, wie ein Karamelbonbon, und so kräftig wie ein kleiner
Baumstamm. Sie zog das T-Shirt über den Kopf, schüttelte ihr Haar, dann
schlurfte sie zum Koffer, der auf dem Fußboden stand, und bückte sich, um den
Inhalt unter die Lupe zu nehmen. Schließlich sagte Eliza, immer noch mit der
Tasse in der Hand: »Susie hat ein sehr hübsches Brautkleid. Nicht wahr, Susie.
Zeig deiner Mutter dein Brautkleid.«
    »Ein blödes Kleid«, sagte
Susie, machte aber kehrt, durchquerte das Zimmer und zog mit einem Ruck die
Schranktür auf. Heraus platzte eine weiße Chiffonwolke. Die Zwillinge standen
gleichzeitig auf, wie von unsichtbaren Fäden gezogen, und schwebten mit offenen
Mündern zum Schrank. Susie knallte

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