Kleine Abschiede
eine
Kirchenmaus. Ich habe Schulden wegen der Hochzeit — vierhundertachtundzwanzig
Dollar, alles wegen meinem reizenden Vater.«
»Wo sind denn die
vierhundertachtundzwanzig Dollar geblieben?« fragte Delia neugierig.
»Mein Kleid und der Schleier
und der Brautstrauß im Eisschrank. Tante Eliza zahlt den Empfang. Bitte, geh und rufe Mr. Bright an. Wenn er immer noch nicht da ist, sag seinem
Beantworter, es ginge um Leben und Tod.«
»Na, gut«, sagte Delia. »Und
soll ich dann Driscoll hochschicken?«
»Er weiß, wo ich zu finden
bin.«
Susie vertiefte sich wieder in
die Zeitung. Delia machte sich auf den Weg, doch in der Tür drehte sie sich um.
Sie fragte: »Wieso sieht das Haus plötzlich so anders aus?«
»Anders?«
»In deinem Zimmer sind keine Möbel,
und Elizas Zimmer wirkt... so unbewohnt.«
»Na, es ist unbewohnt«, sagte
Susie, während sie umblätterte. »Hier wohnt nur noch Vater.«
»Wie bitte?«
»Wußtest du das nicht?«
»Nein, das wußte ich nicht. Was
ist passiert?«
»Na, ja«, sagte Susie, »warte
mal. Zuerst haben Ramsay und Vater sich gestritten wegen — nein, falsch. Zuerst
haben Eliza und Vater sich gestritten. Sie hat behauptet, er käme immer zu spät
zum Essen, ohne ihr Bescheid zu sagen, aber in Wahrheit hat sie sich dermaßen
vor ihm aufgespielt, du kannst es dir nicht vorstellen. Erbärmlich. Wir
sämtlichen Kinder haben’s ihr auch gesagt, aber sie immer nur: ›Hmm? Ich weiß
gar nicht, was ihr habt?‹, und dann Vater, wie immer jenseits von Gut und Böse,
macht seinen Kram und kriegt nichts mit. Also bricht sie eines Tages einen
Streit vom Zaun, wegen nichts und wieder nichts, und rauscht dann ab und
besucht Tante Linda, und am Ende verkündet sie, daß sie auszieht. Jetzt wohnt
sie auf der Calvert Street; da übernachtet wegen der Hochzeit auch Linda jetzt
mit den Zwillingen. Okay, dann kriegen sich Ramsay und Vater in die
Wolle, angeblich weil der Velma aus Versehen ›Veronica‹ genannt hat, und Velma
behauptet, das habe er absichtlich getan; und dann ist Carroll auch dorthin
gezogen, weil er eines Abends viel zu spät nach Hause gekommen ist und Pa
tigerte völlig aus der Fassung durchs Haus, weil er Angst hatte, er sei
überfahren oder so... Und ich; meine Geschichte kennst du ja. Ich bin im Juli
ausgezogen, kurz vor Ramsay.«
»Ja, also ich...« sagte Delia
geistesabwesend.
»Rufst du jetzt den Makler an,
Mama?«
»Oh, genau«, sagte Delia und
blieb noch einmal stehen. Dann ging sie hinaus.
In Elizas altem Zimmer setzte
sie sich aufs Bett, griff den Hörer und starrte ins Leere.
Man stelle sich vor, Sam, der
fassungslos durchs Haus tigerte. Früher war sie das immer, und Sam hatte sie
ausgelacht und gemeint, sie solle sich abregen. »Wieso läßt dich das nur so
kalt?« hatte sie ihn oft gefragt. »Hast du Eiswasser in den Adern?« Und darüber
mußte er dann lächeln, ein gnädiges, dummes kleines Lächeln, als hätte sie ihm
ein Kompliment gemacht.
Sie wählte noch einmal die
Nummer des Maklers. »Hier spricht Joe Bright«, klang es mechanisch. »Ich kann
ihren Anruf jetzt nicht beantworten...«
»Delia Grinstead, noch
einmal, Mr. Bright. Ich
wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sobald wie möglich zurückrufen würden«, sagte
sie. Und in Susies Auftrag fügte sie hinzu: »Es geht um Leben und Tod. Auf
Wiedersehen.«
Von unten drang ein
Stimmengewirr hoch, als hätten die Gäste die Hochzeit aufgegeben und feierten
eine Party. Doch als sie hinunterkam, verstummten die Gespräche einen
Augenblick, und die Anwesenden drehten sich erwartungsvoll um. Jetzt war sie
froh, daß sie das Tannengrüne trug, weil der Rock so schmeichelnd um ihre
Knöchel schwang.
Sie durchquerte den Flur und
ging ins Wohnzimmer, die anderen folgten ihr. Anscheinend hielten sie ihr
Erscheinen für ein Signal. Carroll, der in seinem Anzug als Brautführer
todschick aussah, holte sie ein, reichte ihr seinen Arm und führte sie zu einem
der vorderen Plätze, und gleich darauf kam Eleanor in Ramsays Begleitung. »Setz
Tante Florence auf einen Stuhl mit gerader Lehne«, zischte Ramsay Carroll zu.
»Sie hat’s im Rücken.« Delia hörte die üblichen Zuschauergeräusche — Husten und
Kleiderrascheln. Driscolls Eltern setzten sich aufs Sofa. Dr. Soames nahm
seinen Platz am Kamin ein, lächelte wohlwollend in die Runde und zog ein
zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Brusttasche.
»Hat die Braut das Herzflattern
überstanden?« flüsterte Eleanor Delia zu.
»Nein, hm, nicht
Weitere Kostenlose Bücher